Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister! Frau Präsidentin, dass Sie zu Beginn meiner Rede auf das Alternativprogramm aufmerksam machen, nehme ich Ihnen nicht weiter übel. Ich kann die Intention verstehen. Der freiheitliche Verfassungsstaat hat exakt zwei Mittel, um politisch zu agieren, um Lebenswirklichkeit zu gestalten: Geld, also die Einnahme von Steuern und die Ausgabe dieser Gelder andererseits, und zum Zweiten Gesetzgebung und Rechtsdurchsetzung. Regelmäßig habe ich den Eindruck, dass wir im Umgang mit dem Handlungsmittel Geld – auch hier im Hause – viel skrupulöser sind als im Umgang mit dem Recht. Für uns Rechtspolitiker jedenfalls darf ich das Gegenteil behaupten. Meine Damen und Herren, aber weder Freiheit noch Rechtsstaatlichkeit sind in Euro und Cent aufzuwiegen. Das sehen wir in diesen Wochen sehr eindrücklich bei dem tapferen Kampf des ukrainischen Volkes gegen die russischen Invasoren, aber auch bei unseren Sanktionen als Antwort auf diesen Angriffskrieg. Dieser Krieg wird Europa verändern, er wird Deutschland verändern. Vieles von dem, was wir bislang gesagt und gehofft haben, hat seine Gültigkeit verloren. Der russische Präsident führt hier nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine, sondern auch gegen die Demokratie. Und er führt zugleich Krieg gegen Recht und Rechtsstaatlichkeit. Nicht nur, dass wir hier Zeuge des größten Völkerrechtsbruchs in der europäischen Nachkriegsgeschichte sein müssen; vielmehr geht es dem Kriegsverbrecher im Kreml mit der geplanten Besetzung der Ukraine auch darum, keine rechtsstaatlichen Strukturen in seiner Nachbarschaft aufkommen zu lassen. Die Ukrainer setzen ihr Leben ein für die Freiheit und die unter vielen Widrigkeiten aufgekeimte Rechtsstaatlichkeit in ihrem Land. Sie haben auch deshalb unser aller Unterstützung verdient, meine Damen und Herren. Aus diesem Grunde habe ich mich in dieser Woche einer Petition angeschlossen, die die Schaffung eines weiteren neuen internationalen Sondertribunals für die russischen Kriegsverbrecher fordert, nicht als Konkurrenz zu anderen Möglichkeiten der Aufarbeitung, sondern als Ergänzung und in Partnerschaft dazu. Herr Bundesminister, ich konnte Ihnen in sehr vielem, insbesondere bei dem, was Sie zum Thema Ukraine gesagt haben, zustimmen. Aber ich muss Ihnen auch sagen: Während die Ampelregierung den Etat des Generalbundesanwalts in diesen Zeiten doch tatsächlich senken will, rege ich dringend an – auch namens meiner Fraktion –, dass wir im Haushalt des Generalbundesanwalts zusätzliche Stellen und Mittel bereitstellen, um russische Kriegsverbrechen für künftige Verfahren zu dokumentieren. Wir sollten dabei auch ukrainische Flüchtlinge ermutigen, uns entsprechende Hinweise und Informationen zu geben, damit wir diesen Verbrechen nachgehen können. Meine Damen und Herren, die furchtbaren Berichte, die uns täglich aus diesem Krieg erreichen, relativieren natürlich manche innenpolitische Kontroverse. Und doch kann die weltpolitische Lage natürlich niemals eine Entschuldigung sein für Fehler oder Schludrigkeiten einer nationalen Politik; auch darüber müssen wir reden. Wer allen Ernstes etwa die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche – Sie kennen das Thema – zur ersten rechtspolitischen Priorität erklärt, wie es in der Ampel geschehen ist, der sollte, so meine wirklich herzliche Bitte, sein politisches Koordinatensystem doch noch einmal einer kritischen Überprüfung unterziehen. Ich erwarte bei einem solchen Thema zumindest – viel ist es nicht –, dass die Grenzen, die unser Grundgesetz und das Verfassungsgericht zum Schutz ungeborener Kinder gezogen haben, auch ernst genommen werden. Und ich erwarte Ehrlichkeit in der Debatte. Vielleicht ist das schon zu viel verlangt; ich weiß es nicht. Denn derjenige, der ein Werbeverbot streichen will, nimmt dadurch doch schon denklogisch Werbung zumindest billigend in Kauf. Wer das Grundrecht auf Leben und die Menschenwürde des Embryos geringschätzt, handelt, wie ich finde, auch nicht liberal. Es geht um Grundwerte und Freiheitsrechte. Das Gegenteil von „liberal“ sind auch die Pläne für ein neues Kindergrundrecht – um nur ein weiteres Beispiel zu nennen. Wir als Union wollen Kinder mit und nicht gegen ihre Eltern schützen. Das war der Kern des von uns mitausgearbeiteten Vorschlags in der letzten Wahlperiode. Die Ampel will hingegen mehr staatlichen Einfluss bei der Kindererziehung zulasten der Eltern. Die damit angestrebte staatliche Lufthoheit über den Kinderbetten kennen wir von Olaf Scholz, aber bislang nicht von Liberalen. Meine Damen und Herren, ich habe inzwischen den Eindruck, dass die FDP hier nicht nur ihre Sitzplätze für uns als Unionsfraktion freigemacht hat, sondern gleich noch ein gutes Stück ihrer liberalen Positionen für uns freigeräumt hat. Ich will aber auch gerne noch auf einen kleinen Erfolg des Justizministers und seines Ministeriums eingehen, nämlich auf die Gewinnung der Zuständigkeit für den Normenkontrollrat und – ein wichtiges Thema – für bessere Rechtsetzung. 2006 hat eine CDU-geführte Bundesregierung die Thematik ganz bewusst im Bundeskanzleramt angesiedelt. Das hat die Bedeutung der Aufgabe unterstrichen, aber auch die Durchschlagskraft des Normenkontrollrats ganz erheblich erhöht oder erst wirklich geschaffen. Dass die Ampelmehrheit nun eine Zuständigkeitsverschiebung in ein Fachressort vornimmt, zeigt, dass die Koalition insgesamt das Thema nicht mehr so ganz ernst nimmt. Das ist schlecht für die Sache. Aber – ich baue Ihnen gern eine Brücke – wenn das Justizministerium diese Aufgabe jetzt schon an Land gezogen hat – das freut mich ja für den Herrn Minister –, dann machen Sie bitte auch was draus. – Die Sorge habe ich eben. Das will ich doch gerade erklären, warum ich die Sorge habe, Herr Kollege. Der Wahlslogan der FDP im Bundestagswahlkampf war ja, glaube ich: „Nie gab es mehr zu tun.“ Der passt bei dem Thema wirklich leider wie die Faust aufs Auge. Ja, Defizite bei der Gesetzgebungsqualität gab es unstreitig auch in den letzten Jahren. Aber was wir bei den ersten Arbeitsproben der Ampelkoalition erleben mussten, ist wirklich ein neuer Tiefpunkt in Sachen Qualität der Gesetzgebung. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, ganz frisch aus der letzten Sitzungswoche: Novellierung des Infektionsschutzgesetzes. Indem Sie hierin auf dem bisherigen Höhepunkt der Ansteckungszahlen das Gros der Schutzmaßnahmen abgeschafft haben, haben Sie den Charakter des Infektionsschutzrechts schlichtweg verkannt. Es ist eben kein klassisches Gefahrenabwehrrecht, sondern vor allem ein Risikovorsorgerecht. Ein solches Gesetz darf also niemals nur die aktuelle Gefahrenlage abdecken, sondern es muss auch noch funktionieren, wenn diese sich verschärft. Wenn es aber die Länder macht- und wehrlos macht, ist es eben kein vorausschauendes, sondern ein schlechtes Gesetz. Wenn man es nur mit „Wir können es ja nur nachbessern“ begründet, ist das eigentlich die denkbar schwächste Begründung und Rechtfertigung für ein Gesetz, meine Damen und Herren. Aber auch der Weg zu diesem Gesetz schreibt Geschichte. In der Geschäftsordnung der Bundesregierung ist aus guten Gründen vorgeschrieben, dass vor einem Kabinettsbeschluss die fachlich kompetenten Verbände zu beteiligen sind. Die Beteiligung gab es auch. Sie begann mittwochnachts um 1.08 Uhr und endete acht Stunden und 52 Minuten später. Sie haben es wirklich geschafft, Verbändebeteiligung bei einem zentralen Gesetz zu einer bloßen Farce verkommen zu lassen. Wohlgemerkt: Dieser Zeitdruck ist nicht durch die Dynamik der Pandemie entstanden – dann würde ich es ja noch verstehen –, sondern weil sich die Ressorts bei Corona an der Stelle ineinander verkeilt haben. Das haben sie übrigens auch bei der Frage der Impfpflicht gemacht. Das Grundgesetz weist dem Bundestag die Entscheidung über solche wichtigen Fragen zu. Die Regierung legt einen Regierungsentwurf vor und teilt dem Parlament nicht nur großzügig Gewissensfragen zu. Das ist nämlich keine Stärkung, sondern eine Schwächung des Parlaments, was Sie hier unternommen haben. Meine Damen und Herren, in zentralen regelungsbedürftigen Fragen vorsichtshalber gar keinen Gesetzentwurf vorzulegen, wie hier, ist aber noch kein Beitrag für bessere Rechtsetzung. Vielen Dank.