Frau Ministerin, Sie haben diese Rede heute am Tag 23 wieder nicht gehalten und damit eine große Chance verpasst. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute Tag 27 des Kriegs in Europa. Seit 27 Tagen kämpfen Menschen 700 Kilometer von hier buchstäblich mit allem, was sie haben, um ihre Freiheit, um ihre Sicherheit und um die schlichte Existenz ihres Landes. Vor 24 Tagen hat Bundeskanzler Scholz hier eine historische Rede gehalten und die Zeitenwende beschrieben, die wir gerade alle erleben. Er hat in seiner Rede fünf Handlungsanweisungen an die Bundesregierung erteilt. Nummer vier betrifft die Bundeswehr. Er will eine fortschrittliche, moderne, professionelle Armee, die uns zuverlässig schützt. Meine Damen und Herren, für dieses Ziel hat er die große Unterstützung von CDU und CSU. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, seit dieser Zeit herrscht in der Bundeswehr eine Mischung aus Freude und Panik: Freude, weil sie endlich auch von links die Anerkennung bekommt, die sie verdient, von einer Partei, die sich in den letzten Jahren im Wesentlichen dadurch hervorgetan hat, dass sie die Nichtbewaffnung von Drohnen durchsetzen wollte; Panik, weil sie weiß, dass sie mit nur mehr Geld den Handlungsauftrag des Bundeskanzlers nicht erfüllen kann. Vom Gefreiten bis zum General weiß jeder in der Bundeswehr, dass dafür die Strukturen verändert werden müssen. Frau Ministerin, seit 23 Tagen warten alle in der Bundeswehr auf eine große konzeptionelle Rede von Ihnen. Sie warten darauf, dass Sie erklären, was „Zeitenwende“ konkret für die Bundeswehr bedeutet, welche Fähigkeiten sie in dieser neuen Zeit, in dieser neuen Lage braucht und wie Sie all dieses ganze Geld eigentlich vernünftig ausgeben wollen. Es wäre so einfach gewesen. Als Sie ins Amt gekommen sind, lagen die Vorschläge auf dem Tisch, wie die Einsatzbereitschaft erhöht werden kann, wie die Strukturen verschlankt werden können, wie die Beschaffung beschleunigt werden kann. Sie haben sie vom Tisch genommen. Das ist Ihr gutes Recht, wenn Sie glauben, dass die Vorschläge der alten Ministerin und des Generalinspekteurs falsch waren. Aber, Frau Ministerin, dann sind Sie zumindest in der Pflicht, etwas Besseres vorzulegen. Denn einfach zu glauben, man kippt von oben 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr rein und damit wird alles besser, ist illusorisch und unverantwortlich. Frau Ministerin, in dem Moment, als Sie die Vorschläge vom Tisch gewischt haben, hat Ihre Staatssekretärin eine neue Reform angewiesen. Ich darf aus der Anweisung zitieren; sie kursiert nämlich in der Zwischenzeit im Internet. Es ist schon fast bizarr. Sie hat geschrieben: Auf Deutsch: Sie wissen nicht, was Sie tun. Im BMVg wird noch gerätselt, was denn „Leitrationale“ überhaupt sind. Ich habe das Wort mal gegoogelt; das gibt es überhaupt gar nicht. Frau Ministerin, Sie sind die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, und wir haben eine Situation, in der in Europa Krieg herrscht. Die Soldatinnen und Soldaten erwarten von Ihnen klare Ansagen und keine Wortneuschöpfungen. Sie erwarten Führung, und sie erwarten diese Führung aus dem Bundesverteidigungsministerium und nicht aus dem Bundeskanzleramt. Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik. Dazu gehört bisher nicht der Beschluss über die Beschaffung von Rüstungsprojekten. Das ändert sich gerade. Das ist keine gute Entwicklung; aber wir nehmen das mal so hin. Aber eine Richtlinienentscheidung hat er getroffen, und er hat sie auch an diesem Pult hier formuliert. Davon habe ich aber heute von Ihnen nichts gehört. Er hat am 27. Februar an diesem Pult gesagt: „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“ Meine Damen und Herren, davon lese ich im vorliegenden Haushalt nichts – keinen Satz, keine Fußnote, gar nichts. Frau Ministerin, wenn Sie der Bundeswehr etwas Gutes tun wollen, dann setzen Sie im Kabinett durch, dass dieser Satz Gesetz wird. Damit wäre der Bundeswehr viel mehr geholfen als mit dem Sondervermögen. Das Sondervermögen ist gut und wichtig, aber wenn das Sondervermögen weg ist, fällt die Bundeswehr wieder auf das alte Niveau zurück. Was Sie schaffen müssen, ist, dass die Bundeswehr langfristig gut und sicher finanziert ist; das ist Ihre Aufgabe und Ihre Pflicht. Frau Ministerin, Sie haben gesagt, die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Hören Sie bitte auf, diese Bundeswehr zu verzwergen! „Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee“ bedeutet, dass wir mit den Soldaten sprechen und dass die Soldaten auch genau zuhören, was hier gesprochen wird. Viele der Soldatinnen und Soldaten haben die Rede der Bundesaußenministerin zu den Waffenlieferungen an die Ukraine letzten Mittwoch hier gehört. Auch daraus möchte ich zitieren: Natürlich kann die Bundeswehr mehr Waffen liefern – Dänemark liefert im Moment mehr Waffen als wir –; Sie wollen es nur nicht. Meine Damen und Herren, die Truppenteile melden nach oben, sie melden auch an uns, sie geben uns Hinweise, und sie beschweren sich darüber, dass sie bei der Leitung nicht durchdringen. Das ist das Problem. Der Höhepunkt war dann Ihr Interview im Deutschlandfunk am letzten Sonntag. Dort haben Sie gesagt: „Die Möglichkeiten über die Bundeswehr sind erschöpft.“ Da haben Sie wahrscheinlich schon erfasst, dass Sie übers Ziel hinausgeschossen sind. Am Dienstag dann die Kehrtwende in der „Bild“-Zeitung: „Die Ministerin hätte gerne mehr geliefert, aber der Kanzler persönlich habe das verhindert.“ Unter Angela Merkel wäre das ein Kündigungsgrund gewesen, so ein Schuss ins Bundeskanzleramt. Aber, meine Damen und Herren, darum geht es gar nicht. Das ist peinlich, und es ärgert auch unsere Soldatinnen und Soldaten, weil sie sehen, dass die Ukrainer im Krieg sind. Sie brauchen die Waffen jetzt und heute und nicht erst an Tag 100 des Krieges, wenn die Ressortabstimmungen in Deutschland abgeschlossen sind. Meine Damen und Herren, es ist nicht nur die Bundeswehr, die auf eine große Rede unserer Ministerin wartet; es ist auch die europäische Öffentlichkeit. Die Anforderung an eine deutsche Verteidigungsministerin ist, dass sie in einer solchen Lage Führung in Europa übernimmt und erklärt, was diese Zeitenwende auch für die europäische Sicherheitsarchitektur bedeutet. Wie können wir gemeinsam in Europa die Einsatzfähigkeit unserer Armeen verbessern? Wie können wir besser zusammenarbeiten? Wo fehlen Fähigkeiten? Was ist die Rolle der NATO und der USA in Zukunft? Wer, wenn nicht Deutschland, soll diese Rolle übernehmen? Frankreich ist im Wahlkampf, England ist draußen. Frau Ministerin, es kommt jetzt auf Sie an. Ich möchte Ihnen für Ihre Arbeit einen Führungsgrundsatz aus der Bundeswehr mit auf den Weg geben: „Geführt wird von vorne!“ Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.