Da sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtmission, die mir sagen: Wir hätten uns das nicht vorstellen können. Wir helfen gerne. Wir sind da. Aber das hier ist ein Ankommen ohne Staat. Das haben wir uns nie vorstellen können. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt viel gehört von Versagen, von Fehlern, von Verantwortung und von Rechtfertigungen. Nichts davon macht nur ein Todesopfer dieser furchtbaren Flutkatastrophe wieder lebendig. Nichts davon macht dieses Geschehen rückgängig. Ja, man kann Häuser wieder aufbauen, Brücken wieder aufbauen und reparieren, Bahnstrecken wieder in Betrieb nehmen. Um die Todesopfer können wir nur trauern, den Familien beistehen. Mit diesem Wissen muss jeder leben, auch jeder, der in dieser Flutnacht politische Verantwortung hatte. Ja, wer Verantwortung übernimmt, macht Fehler. Gerade in besonders herausfordernden Situationen kann einiges an Fehlern geschehen. Und: Gemachte Fehler sind gemachte Fehler; sie sind nicht rückgängig zu machen. Dennoch: Man kann aus den Fehlern lernen, neue Verantwortung übernehmen und das Gelernte mit einfließen lassen. Aber wenn sich staatliche Stellen in Extremsituationen in Kompetenzgerangel begeben oder gar abtauchen, dann ist es immer vorbei mit Verantwortung. Wenn nur noch die Suche nach einem künftigen Schuldigen beginnt, wie man hier überall nachlesen kann, ist Verantwortung nicht gegeben. Und wenn es nur noch um Blame Game geht, dann war es das. Dann ist das nicht mehr Verantwortung, sondern dann ist das Verantwortungsflucht. Warum das heute hier im Parlament eine Rolle spielt, ist die Frage. Die Ministerin hat in der Anhörung einige Fehler eingestanden, einige wenige. Übrigens finden diese Anhörungen – für die Minister – nur in den späten Nachtstunden, immer am Freitagabend statt. Aber hat sie daraus gelernt? Hat sie Schlussfolgerungen aus ihrem Handeln gezogen? Die Einlassungen im Untersuchungsausschuss lassen daran enorme Zweifel aufkommen. Nun hat Frau Spiegel eine neue Aufgabe übernommen. Sie ist nicht mehr Umweltministerin in der kleinen Ampel, sondern sie ist Familienministerin für das ganze Land. Sie hat große Verantwortung übernommen, und gerade in diesen Zeiten käme viel auf sie an. Keine fünf Minuten weg von hier kommen gerade wieder Frauen und Kinder an, die vor Bomben fliehen, vor Gewalt, vor Verfolgung, vor Zerstörung. Da kommen Frauen und Kinder an, die bei uns Schutz suchen, die ihre Väter, Onkels, Söhne, Brüder und Neffen zurückgelassen haben. – Das ist zum Thema, junge Frau, weil Sie gerade diesen Zwischenruf machen. – Diese Frauen brauchen Schutz, sie brauchen Ruhe und Zuwendung. Und sie treffen auf viel Hilfe, aber sie treffen nur auf Hilfe der Hilfsorganisationen und der Ehrenamtlichen. Der Staat zeigt sich bei der Ankunft überhaupt nicht. Das sagt Pastor Siggelkow von der Arche in Berlin, der schon früh davor gewarnt hat, dass hier vom Staat de facto nicht kontrolliert wird, wer Frauen und Kinder bei sich aufnimmt. Er warnt eindrücklich vor Trittbrettfahrern und vor Missbrauch der Schutzsuchenden. – Frau Künast, Sie können fleißig zwischenrufen, trotzdem spreche ich jetzt. Da sind Ehrenamtliche und Flüchtlingsinitiativen, ja, Frau Künast, die mir sagen: Herr Czaja, als Sie damals, 2015, Verantwortung hatten, da haben wir uns durchaus miteinander gestritten, da hatten wir Konflikte. Aber was wir uns nicht vorstellen konnten, ist, dass es auf der anderen Seite gar niemanden gibt, dass Frauen und Kinder hier auf dem Bahnhof alleine gelassen werden, über Wochen. Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt erhebliche Mängel bei der Anmeldung von Kriegsflüchtlingen und beim Wissen darum, wo sie unterkommen; und das ist das Entscheidende. Wir weisen die SPD-Innenministerin, Frau Faeser, und die grüne Familienministerin, Frau Spiegel, seit Tagen darauf hin – in dieser Woche an jedem Tag –, dass sie dafür Verantwortung haben. Doch sie tauchen unter, und sie gehen auf diese Dinge nicht ein. Um es klar zu sagen, weil sie es der Union immer vorwerfen: Es geht nicht um einen bürokratischen Akt. Deshalb sind die bürokratischen Ausflüchte der Ministerin auch so unerträglich. Es geht um Menschen, die Schutz suchen. Es geht um eine sichere Unterkunft und um medizinisch-therapeutische Versorgung. Und es geht um eine wirkliche Integration dieser Menschen. Wir brauchen ein Schutzregister für ukrainische Kriegsflüchtlinge. Dafür sind die beiden Ministerinnen verantwortlich. Frau Spiegel ist mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit beschäftigt. Der Verantwortung ist sie bislang nicht gerecht geworden. Der Verantwortung hier wird sie auch nicht gerecht. Es gibt viele Gründe für sie, um sich an diesem Wochenende noch mal genau zu prüfen, ob sie ihrer Verantwortung gerecht wird und ob sie die erneuten Folgen ihrer Verantwortungslosigkeit vor sich selbst verantworten kann.