Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es ganz wunderbar, dass wir jetzt zum ersten Mal in der neuen Legislaturperiode, in der 20., eine rentenpolitische Diskussion haben. Nur hätte ich mir gerade für die erste Debatte in dieser Legislaturperiode zu diesem Thema eine etwas grundsätzlichere Fragestellung gewünscht als diejenige, die Die Linke hier jetzt anbieten kann. Die Erhöhung der Mindestreserve in der Nachhaltigkeitsrücklage von 0,2 auf 0,4 Monatsausgaben: Ich weiß nicht, ob da ein Ruck durch die Rentnerinnen und Rentner und Beitragszahler geht, ob das etwas ist, was sie elektrisiert. Ich weiß auch nicht, ob die Wählerinnen und Wähler der Linken dadurch jetzt in Scharen an die Urnen getrieben werden. Aber das ist ja nun Ihre Sache. Ich weiß nicht, ob Ihnen nach der Wahl eine Kommunikationsreferentin oder ein Kommunikationsreferent abhandengekommen ist oder ob Sie so eine Stelle jemals besetzt hatten. Jedenfalls haben Sie selber gemerkt, dass die rein technische Substanz Ihres Gesetzentwurfes nur eine ziemlich kleine Baustelle darstellt. Deswegen, Herr Birkwald, haben Sie von hier aus auch behauptet, es würden Nullrunden drohen, was überhaupt nicht der Fall ist. – Nein. – Es wird eine Rentenerhöhung, und zwar eine ziemlich kräftige, von über 4 Prozent zum 1. Juli geben. Das ist Tatsache. Sie haben auch versucht, den Eindruck zu erwecken, als ob die Erhöhung der Mindestreserve irgendeinen Beitrag zur dauerhaften, langfristigen Stabilisierung der Rentenkasse leisten würde. Auch das ist nicht der Fall. Nein, das markiert nur einen etwas höheren Punkt, an dem eine Intervention durch eine Erhöhung des Beitragssatzes notwendig wird. Das ist im Kern ein rein technischer Vorgang, der natürlich auch eine gewisse Substanz hat; das will ich überhaupt nicht bestreiten. Denn in der Tat – das beschreiben Sie in Ihrem handwerklich übrigens guten Gesetzentwurf zutreffend –: Es droht, wenn diese Untergrenze erreicht wird – und sie wird in ein paar Jahren erreicht werden –, die Gefahr, dass die unterjährige Liquidität – so nennt man das – über Beitragseinnahmen nicht gesichert werden kann und dass dann der Bund einspringen muss. Die Gefahr ist an dieser Stelle natürlich die, dass die Zeitung mit den großen Buchstaben schlagzeilt: Rentenkasse pleite! Nichts mehr übrig! Kann nächsten Monat noch Ihre Rente gezahlt werden? – Ich finde, solche Debatten sollten wir uns tunlichst ersparen – – sofort – und stattdessen als Koalition darüber nachdenken – noch ist die Rücklage gut gefüllt –, was wir tun können, um diese Situation zu vermeiden. Ich habe es schon geahnt. Ja. Bitte. Schweren Herzens. Wir sehen im Moment, dass die Nachhaltigkeitsrücklage zum Ende des letzten Jahres – das ist noch nicht so lange her – bei 39 Milliarden Euro stand oder 1,6 Monatsausgaben, das heißt noch oberhalb der Monatsausgabe. Es besteht also in dieser Situation, wo wir eine schwerwiegende Unsicherheit gerade auch in der Wirtschaft haben und nicht ganz klar ist, wie es am Arbeitsmarkt weitergeht, ein ausreichender Puffer, um hier nicht aktionistisch handeln zu müssen. Sie haben mit Ihrer Äußerung gerade insinuiert, es würde quasi unmittelbar eine Nullrunde drohen, und ich habe festgestellt, dass das falsch ist. Nach dem Jahr 2022, das wir gerade haben, wird das Jahr 2023 kommen, und dann kommt das Jahr 2024. Das heißt, wir haben noch gut zwei Jahre Zeit, vorausschauend zu handeln, und das werden wir als Ampelkoalition auch tun. Die Formulierungen, Absichten und Zielsetzungen des Koalitionsvertrags in Bezug auf ein dauerhaft stabiles Rentenniveau sind an dieser Stelle ganz eindeutig. Sie wissen, genau wie ich, dass es verschiedene Interventionsmöglichkeiten gibt, und dazu zählt natürlich auch der Bundeszuschuss. Was aber noch viel wichtiger ist: dass wir die langfristigen Grundlagen der Finanzierung im Blick haben. Das bedeutet, dass wir das Erwerbspersonenpotenzial hoch halten müssen, dass wir zum Beispiel die Frauenerwerbstätigkeit fördern müssen, qualifizierte Zuwanderung, aber auch Integration und Ausbildung von Zuwanderinnen und Zuwanderern, die nicht so gut ausgebildet sind, Sprachkurse. Das sind alles Dinge, die im Moment ganz dringend anstehen. Dann nehmen wir uns vor, dass wir sowohl Arbeitsmarktpolitik, Rehapolitik und Tarifpolitik gemeinsam betrachten. Es werden nämlich in den nächsten zehn Jahren 7 Millionen Menschen ausscheiden, Ältere kommen nach. Erst gestern war in einer Zeitung zu lesen, dass ein Viertel der Beschäftigten über 55 Jahre alt ist. Es geht darum, durch eine Reform im Rehabereich – die Frau Kollegin Machalet hat vorhin schon einige Punkte genannt – die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit an dieser Stelle hoch zu halten. Natürlich haben – meine Kollegin Beate Müller-Gemmeke rief es mir vorhin zu – eine gute Tarifpolitik, eine erweiterte Tarifbindung, vernünftige Lohnabschlüsse und auch eine Erhöhung des Mindestlohns allesamt einen entscheidenden Effekt auf die Rentenversicherung. Das heißt – ich möchte es kurz skizzieren –, dass Ihr Entwurf nicht die tragenden Strukturpfeiler der Sozialversicherung in den Blick nimmt, sondern einen Mechanismus zur Liquiditätssicherung, was in der Sache überhaupt nicht falsch ist. Wir aber versuchen als neue Regierungskoalition – das kann man mit ein bisschen gutem Willen auch erkennen –, einen ganzheitlichen Blick auf die Rentenfinanzierung zu nehmen, der die verschiedenen Komponenten gleichermaßen bearbeitet. Das ist, wie ich hoffe, deutlich geworden. Ich freue mich, wenn wir irgendwann, hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft, wieder einmal grundsätzlich über die Perspektiven der Rentenversicherung reden können, die nicht nur eine Säule, sondern das Fundament in unserem Sozialstaat darstellt. Vielen Dank.