- Bundestagsanalysen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem, was uns die Union hier in den letzten Tagen zugemutet hat, kann ich verstehen, wenn das mediale und öffentliche Interesse im Moment woanders ist.
Schlechter Einstieg! So eine wichtige Sache!
Gegenruf der Abg. Leni Breymaier [SPD])
Und doch glaube ich, dass es richtig und wichtig ist – allein schon denen gegenüber, die sich in den letzten Jahren in und für Afghanistan engagiert haben und die mit uns in der Enquete-Kommission gearbeitet haben –, dass wir hier heute in eine sachliche Auseinandersetzung mit der Arbeit der Enquete-Kommission kommen.
Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass es uns gelungen ist, Ihnen und der Öffentlichkeit heute einen fertigen, kompletten, einstimmig beschlossenen Abschlussbericht der Enquete-Kommission Afghanistan vorzulegen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Einerseits wegen des großen Auftrages, den der Bundestag uns mitgegeben hat, den wir zu bearbeiten hatten, und zum anderen natürlich auch wegen der Verkürzung der Wahlperiode.
Dass es uns gelungen ist, heute den Bericht vorzulegen, ist vielen zu verdanken. Deswegen von mir ein großes Dankeschön an alle Kolleginnen und Kollegen für die konstruktive, sachliche Zusammenarbeit in unserer Kommission; ein großes Dankeschön an die ständigen Sachverständigen, die uns mit unglaublicher Expertise unterstützt haben; ein Dankeschön an diejenigen, die immer wieder bereit waren, uns auch temporär Rede und Antwort zu stehen und in die öffentliche Debatte zu gehen. Danken will ich aber auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen und der Verwaltung, insbesondere auch dem Ausschusssekretariat, das uns wirklich in hervorragender Art und Weise unterstützt hat. Ein großes Dankeschön!
Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der AfD)
Meine Damen und Herren, der Bericht kommt zur richtigen Zeit. Wenn wir uns die politische Weltlage angucken, die fragilen Situationen in vielen Staaten – Bedrohungen, Konflikte und Krisen auch in unmittelbarer Nachbarschaft –, dann müssen wir feststellen: Wir können nicht beiseitestehen. Wir müssen diese Situationen analysieren. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir wahrscheinlich in Zukunft deutlich mehr gefordert sein werden, auch im internationalen Krisenmanagement.
In unserer Bestandsaufnahme, dem Zwischenbericht, den wir Ihnen letztes Jahr vorgelegt haben, haben wir analysiert, was aus unserer Sicht in den 20 Jahren Afghanistan-Engagement nicht gut gelaufen ist. Vieles hat gut funktioniert, insbesondere durch das große Engagement unserer Bundeswehr vor Ort, die mehr an Aufgaben übernommen hat, als ihr eigentlich zugedacht waren. Aber es ist uns eben nicht gelungen, dort wirklich dauerhaft für Frieden zu sorgen, dauerhaft die Rechte von Frauen und Mädchen durchzusetzen. Wir sind daran gescheitert, einen Staatsaufbau strategisch mit zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, umso wichtiger ist es, nach der Analyse nach vorne zu blicken und die Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen. Die Enquete-Kommission legt Ihnen heute 72 konkrete Empfehlungen vor: für die Bundesregierung, für den Bundestag und auch für andere beteiligte Institutionen.
Vier Punkte möchte ich exemplarisch herausgreifen, die ich für besonders wichtig halte:
Erstens. Die militärische Komponente des vernetzten Ansatzes bleibt wichtig. Aber bei allen richtigen Stärkungen der Bundeswehr, die noch so notwendig sind, dürfen wir nie die zivilen Werkzeuge vergessen. Für den Erfolg in einem Kriseneinsatz ist es wichtig, humanitäre Hilfe, Polizeidienst und Diplomatie nicht nur zu finanzieren, sondern auch zu vernetzen. Es ist wichtig, das Know-how über die möglichen Einsatzländer ständig zu erweitern. Wissenschaft, Thinktanks, relevante Studiengänge, Weiterbildung für die Einsatzkräfte: Alles das ist von großer Bedeutung.
Meine Damen und Herren, zum Zweiten. Es ist nötig, dass die Akteure hier vor Ort und im Einsatzgebiet ressortübergreifend zusammenarbeiten, ein gemeinsames Ziel verfolgen, eine gemeinsame Strategie formulieren. Auch das hat es im Afghanistan-Einsatz nicht gegeben. Ein gemeinsames Lagezentrum für eine einheitliche Informationsbeschaffung und auch für eine Weitergabe von Informationen kann und muss aus unserer Sicht ein erster wichtiger Schritt sein. Und das ist keine Frage des Geldes. Geld hat auch im Afghanistan-Einsatz keine Rolle gespielt. Vernetzung aufbauen, Parallelstrukturen abbauen, Ressourcen effektiv einsetzen: Das ist das Entscheidende. Das muss in Zukunft besser erfolgen.
Drittens. Nötig für eine bessere Verzahnung und Vernetzung hier vor Ort und im Einsatzgebiet ist, dass es dafür die entsprechenden Strukturen gibt. Deswegen schlägt die Enquete-Kommission – egal wie man es nennt – einen Kabinettsausschuss, einen Sicherheitsrat, eine erweiterte Staatssekretärsrunde mit zusätzlichen Kompetenzen vor. Es muss eine Struktur geben, durch die auf Regierungsebene auch Ressortegoismen überwunden werden.
Viertens. Das Gleiche muss sich auf Parlamentsebene abspielen. Wir haben eine Parlamentsarmee. Damit die Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine gute Entscheidungsgrundlage für den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten haben, brauchen wir auch auf Parlamentsebene, wie wir vorschlagen, mindestens einen Unterausschuss, der sich dem Krisenmanagement widmet, in dem die Mitglieder des Parlaments aus den relevanten Bereichen für Kriseneinsätze zusammenkommen und natürlich auch die entsprechenden Ministerien und andere Institutionen gemeinsam Rede und Antwort stehen und ein abgestimmtes Lagebild präsentieren.
Meine Damen und Herren, abschließend ist es mir wichtig, zu betonen, dass uns bewusst sein muss, dass wir unsere Aufgaben nur in guter internationaler Partnerschaft erledigen können, insbesondere europäischer. Die Zeiten, in denen wir uns auf die USA – auf das Wort aus Washington – als verlässlichen Partner stützen konnten, sind wahrscheinlich vorbei. Das heißt, wir müssen uns bei einem Einsatz selbstkritisch fragen: Was können wir aus eigener Kraft? Welche Fähigkeiten können wir einbringen? Gegebenenfalls auch: Wie kann und muss eine Exitstrategie für uns aussehen, unabhängig von unseren internationalen Partnern?
Meine Damen und Herren, es sind herausfordernde außenpolitische Zeiten, mit denen wir konfrontiert sind. Es sind globale Krisen. Umso wichtiger ist es, dass wir das deutsche Krisenmanagement verbessern, dass wir aus Fehlern lernen und es in Zukunft besser machen. Gerade unseren Soldatinnen und Soldaten sind wir das schuldig. Die Kommission liefert hierzu wichtige Bausteine, um es in Zukunft besser machen zu können.
Ich glaube, ich kann im Namen aller Mitglieder unserer Enquete-Kommission und auch aller Sachverständigen sagen: Wir hoffen sehr, dass diejenigen, die sich als Abgeordnete oder Vertreter der Regierung in der nächsten Legislaturperiode hier im Parlament dieser Aufgabe widmen, auf die Empfehlungen unserer Enquete-Kommission Afghanistan zurückgreifen. Es sind wichtige Hinweise, die wir geben, wichtige Hinweise, um in Zukunft besser im internationalen Krisenmanagement reagieren zu können.
Vielen Dank.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)