Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Jetzt haben wir eine lange und aus meiner Sicht gute Debatte gehabt. Es gab ein paar Tiefpunkte; es gab aber auch sehr gute Beiträge. Wo stehen wir jetzt? Wir müssen uns vor Augen führen: Es hat sich nicht viel verändert. Wir haben fünf Szenarien vor uns, die im Herbst kommen können. Christian Drosten hat in seiner Ausarbeitung auch für die Mitglieder des Bundestags beschrieben, dass wir im Herbst vielleicht, möglicherweise wieder eine Omikron-Welle bekommen und dass wir vielleicht eine Delta-Variantenwelle bekommen, weil derzeit die Impfquote in Afrika bei nur 14 Prozent liegt und sich Delta dort wieder verstärkt ausbreitet. Wir können eine weiter entfernte Variante bekommen. Wir können eine Deltakron-Kombinationsvariante bekommen, und – was sehr gefährlich wäre und nicht unwahrscheinlich ist – es ist möglich, dass sich Omikron weiterentwickelt und tiefer in die Lunge eindringt. Denn es sind nur ganz wenige Mutationen, die das derzeit verhindern. Die können jederzeit verloren gehen. Nein, auf keinen Fall. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine dieser Varianten sehen, liegt bei fast 100 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Herbst keine Schwierigkeiten haben, die Coronapandemie zu bekämpfen, liegt bei fast 0 Prozent. Das ist fast so wahrscheinlich wie, dass wir gar keinen Herbst bekämen. Daher müssen wir uns vorbereiten. Was wird im Herbst auf uns zukommen? Im Herbst werden wir erneut die Fragen stellen müssen: Wird unser Gesundheitssystem überlastet sein? Was können wir tun, um dieser Überlastung zu begegnen? Was müssen wir schließen? Wie gehen wir mit den Geschäften um? Was können wir unseren Kindern erneut zumuten? Sind die Pflegekräfte da, die wir benötigen? Wir können ja nicht den vielen Ungeimpften, die dann Behandlung benötigen und sie auch bekommen werden, sagen: Ihr hättet euch impfen lassen können. Wir behandeln euch nicht. – Wir sind eine zivilisierte Gesellschaft. Das heißt, wir werden diese Menschen, die zum Teil selbst schuld sind – zum größten Teil sogar –, behandeln müssen. Dann wird erneut das ganze Land in der Geiselhaft dieser Gruppe von Menschen sein, die sich einfach gegen die wissenschaftliche Evidenz der weltweiten Behandlungsforscher und Impfforscher durchsetzen wollen und im Prinzip noch stolz darauf sind, dass das Land darauf wartet, ob sie sich impfen lassen oder nicht. Das können wir uns aus meiner Sicht nicht mehr leisten. Wir müssen einfach Rücksicht nehmen auf die Kinder, wir müssen Rücksicht nehmen auf die Pflegekräfte, wir müssen Rücksicht nehmen auf diejenigen, die um ihre Existenz kämpfen. Jetzt geht es darum, dass mal diejenigen die Regeln beachten, die das all die Zeit nicht getan haben. Man kann natürlich die Frage stellen: Wirken die Impfungen überhaupt oder nicht? – Das wissen wir doch. Wir wissen, dass all die Varianten, die ich gerade aufgezählt habe, zu weit über 90 Prozent genetisch identisch sind. Daher wirken auch alle Impfstoffe. Die zwei Jahre alten Wuhan-Impfstoffe verhindern nach wie vor schwere Krankheit und Tod. Natürlich verhindern sie nicht in jedem Fall die Ansteckung. Aber das Problem der Ansteckung ist ja nicht das Hauptproblem, wenn wir nicht schwer krank werden oder sterben. Es geht doch darum, schwere Krankheit und Tod zu verhindern. Und dafür haben wir die Impfstoffe; die müssen wir einsetzen. Ich komme auf den Vorschlag der CDU zurück. Herr Krings hat es ja gesagt. Herr Krings hat ganz klar darauf hingewiesen – und es stimmt –: Die Impfpflicht kommt zu spät für die Omikron-Welle. – Das ist richtig. Aber Ihr eigener Vorschlag würde doch dafür sorgen, dass die Impfpflicht für jede weitere Welle, die noch kommt, zu spät kommt. Mit Ihrem Vorschlag würden wir, ehrlich gesagt, wichtige Zeit verlieren. Damit kommen wir nicht weiter. Ich komme zum Schluss. Das würde ich machen. Vielen Dank, Frau Vogler. – Sie haben recht: Schuldzuweisungen sind fehl am Platz. Aber Verantwortungszuweisungen sind richtig, und die Ungeimpften tragen derzeit die Verantwortung dafür, dass wir nicht weiterkommen. Das muss man sagen dürfen. Im Übrigen: Wir müssen auch nach vorne blicken. Natürlich sind Fehler gemacht worden. Aber wo stehen wir denn jetzt? 2022 ist das erste Jahr, in dem wir tatsächlich die Pandemie in Deutschland – leider nicht weltweit, aber in Deutschland – beenden können, mit der Impfung, mit der Impfpflicht. Lassen Sie uns doch diese Gelegenheit ergreifen! Wenn es uns gelingt, eine Impfquote zu erreichen, die bei den über 60‑Jährigen deutlich höher ist als 90 Prozent und im Rest der Bevölkerung so hoch ist, dass die Wellen sich nicht mehr richtig ausbreiten können, dann müssen wir vor Einschränkungen im Herbst keine Angst haben, dann kommen wir durch, dann müssen wir nicht erneut in diese Endlosschleife zurück. Diese Gelegenheit haben wir heute. Ich appelliere an alle demokratischen Parteien: Bitte erlauben Sie Ihren Abgeordneten eine Gewissensentscheidung. Ich weiß, dass das in allen Parteien viele begrüßen. Wir haben diese Gelegenheit, hier eine ganz wichtige Entscheidung zu treffen. Wir stehen im Herbst an der gleichen Stelle wie jetzt, wenn wir diese einmalige Chance nicht gemeinsam ergreifen.