Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die heutige Debatte hat uns einer Entscheidung über das Ob und Wie einer Impfpflicht nicht wirklich nähergebracht. Der wichtigste Grund ist offensichtlich, dass Sie innerhalb der Ampelkoalition noch immer in einer tiefen Zerrissenheit bei diesem Thema sind. Sie verstecken das hinter Gruppenanträgen. Das kann man machen, aber das ist eben die Folge davon. Aber mit der dramatischen weltpolitischen Lage schwindet das Verständnis für diesen Attentismus der Bundesregierung in dieser zentralen innenpolitischen Frage endgültig. Offensichtlich durchzieht diese Zerrissenheit in Ihrer Koalition die gesamte Coronapolitik. Das andere prominente Beispiel in dieser Sitzungswoche ist die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes. Die Verbände hatten für ihre Beteiligung und Stellungnahmen knapp neun Stunden in der Nacht. Im Text nehmen Sie den Ländern fast alle Handlungsmöglichkeiten zur Pandemiebekämpfung, und das alles bei extrem steigenden Ansteckungszahlen. Ein Ministerpräsident – der SPD wohlgemerkt – sprach davon, man werfe hier den Feuerlöscher mitten im Brand weg. Ich weiß nicht, ob wir schon dankbar sein sollten, dass Sie es beim Infektionsschutzgesetz überhaupt zu einem Regierungsentwurf gebracht haben und uns nicht auch da mit Gruppenanträgen konfrontiert haben, meine Damen und Herren. Aber wie passt es eigentlich zusammen, wenn die Ampelmehrheit die meisten Schutzmaßnahmen schleift und eine große Mehrheit innerhalb der Ampel zugleich eine sofortige Impfpflicht einführen will? Man hat den Eindruck: Bei diesen beiden Themen bewegen Sie sich in zwei Paralleluniversen, meine Damen und Herren. Deshalb mein Appell: Jedenfalls bei der Impfpflicht wäre es doch gut, wenn Sie ausnahmsweise auf die Stimme der Vernunft hören. Und die besagt erstens: In der jetzigen Omikron-Welle käme die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht schlichtweg zu spät. Sie besagt zweitens, dass die Anordnung einer Impfpflicht, die im Herbst gegen eine neue Virusvariante wirken soll, zumindest heute noch nicht zu rechtfertigen ist. Ja, Impfen ist der zentrale Weg aus der Pandemie. Dennoch ist die Pflicht zur Impfung ein Grundrechtseingriff. Der lässt sich eben nur damit rechtfertigen, dass wir die Überlastung unseres Gesundheitssystems verhindern wollen. Dass sich eine Pflicht zur Impfung nur auf die jetzt verfügbaren Impfstoffe beziehen kann, deren Wirkung auf künftige Varianten wir noch gar nicht kennen können, führt dazu, dass die Geeignetheit verfassungsrechtlich nicht gegeben ist. Bei Entscheidung unter Unsicherheit darf der Gesetzgeber nicht voreilig entscheiden, sondern muss zunächst die verfügbaren Erkenntnisse zusammentragen und sachgerecht bewerten. Genau das fordern wir. Bis dahin ist eine Impfpflicht im Sinne des Verfassungsrechts auch nicht erforderlich, meine Damen und Herren. Sehr wohl erforderlich ist aber, dass Bund, Länder und Kommunen jetzt ihre Hausaufgaben machen und die Vorbereitungen für eine möglicherweise später notwendige Impfpflicht treffen. Das reicht von der Stärkung der Impfinfrastruktur bis hin zum Aufbau eines nationalen Impfregisters. Was wir jetzt brauchen, ist also keine Impfpflicht auf Vorrat, sondern ein Vorsorgegesetz, meine Damen und Herren. Und – auch das kann ich Ihnen nicht ersparen – natürlich bleibt die Vorlage eines Gesetzentwurfes die ureigenste Aufgabe der Bundesregierung; dafür gibt es sie. In einer zentralen Frage innerhalb der größten Krise der Nachkriegszeit in innenpolitischer Hinsicht muss die Bundesregierung sich endlich ihrer Verantwortung stellen, meine Damen und Herren. Sie wäre klug beraten, wenn sie dabei unserem Zweistufenmodell folgt – aus sachlichen und verfassungsrechtlichen Gründen, aber auch, weil es der einzig realistische Weg ist, der uns die sinnvolle Option – nicht mehr und nicht weniger – für eine Impfpflicht erhält. Ich fordere daher die Regierung auf: Legen Sie einen Regierungsentwurf für ein Impfvorsorgegesetz zügig vor! Die Probleme mit der bisherigen berufsbezogenen Impfpflicht und das Rückrudern in Österreich zeigen doch: Es reicht nicht, einfach eine Impfpflicht anzuordnen. Wenn, dann muss sie auch gut vorbereitet sein. Vielen Dank.