- Bundestagsanalysen
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Haben Sie ganz herzlichen Dank, dass ich heute zu Ihnen in einer für mich sehr, sehr wichtigen und für mich auch sehr bewegenden Thematik zu Ihnen sprechen kann.
Ich will es gleich sagen: Ich unterstütze den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. Es ist wichtig, meine Damen und Herren, es ist notwendig, dass die Opfer der sogenannten Euthanasie und die Opfer der Zwangssterilisierungen unter den Nazis als Verfolgte des NS-Regimes anerkannt werden. Dieser Antrag und dann hoffentlich auch dieser Beschluss kann ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu dieser Anerkennung sein, und dafür will ich mich jetzt schon bei Ihnen bedanken.
Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Meine Damen und Herren, die Anerkennung als Verfolgte des NS-Regimes hätte auch zur Folge, dass dies zu einer Gerechtigkeit innerhalb der Opfergruppen führt. Es könnte dazu führen – das ist auch wichtig –, dass den vielleicht noch ganz wenigen unmittelbar Betroffenen, aber auch den Familien Schadensersatz bzw. Entschädigungszahlungen zugänglich gemacht würden.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das wäre aus meiner Sicht mehr als notwendig.
Lassen Sie es mich bitte noch mal sagen: Es sind mehr als 300 000 Kinder, Jungen und Mädchen, Frauen und Männer im Dritten Reich ermordet worden, weil sie eine Behinderung hatten oder weil sie psychisch erkrankt waren. Sie wurden ermordet von Ärztinnen und Ärzten, die alle nach ihrem Studium den hippokratischen Eid geleistet haben und diesen tausendfach brachen. Sie wurden ermordet durch Gas, sie wurden ermordet durch Gift. Sie wurden durch eine sogenannte – das war der zynische Begriff – Hungerbehandlung getötet, indem man sie verhungern ließ. Ihnen wurden Überdosen von Medikamenten verabreicht. Und – auch das wurde schon gesagt – an ihnen wurden grausame, brutale, extrem schmerzhafte medizinische Versuche durchgeführt von einer völlig enthemmten, keinen ethischen Grundsätzen mehr verpflichteten deutschen Medizin. Diese Schande, meine Damen und Herren, werden wir nicht los, und diese Schande wird auch die deutsche Medizin nicht los.
Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Hinzu kamen etwa 400 000 Zwangssterilisierungen von Frauen und Männern. Man nahm ihnen im Grunde das Recht, eigene Familien zu gründen, indem man sie für den Rest ihres Lebens versehrte und traumatisierte. Und die Scham all dessen, die Scham darüber, was geschehen ist, war für die Opfer immer relevant. Und diese Scham wirkt teilweise noch bis heute in den Familien nach. Das, meine Damen und Herren, muss uns alle als Gesellschaft beschämen.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thomas Hacker [FDP])
Meine sehr geehrten Damen und Herren, deswegen ist es so wichtig, dass uns klar wird, dass die Zwangssterilisierungen und auch die sogenannte Euthanasie das Ende eines Prozesses waren, der schon viel früher begann. Er begann mit Ausgrenzung und Stigmatisierung von Menschen mit Behinderungen. Ich muss Ihnen auch vor dem Hintergrund mancher emotionalen Debatten, die ich heute verfolgt habe, sagen: Ich habe die Sorge, dass wir das Bewusstsein aus der Geschichte heraus verlieren, dass schlimme Dinge geschehen können, wenn Menschen und Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und diffamiert werden. Wir müssen aus unserer Geschichte lernen.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen ist es so wichtig, meine Damen und Herren, dass wir der Forschung mehr Raum geben. Es ist wichtig, dass die Patientenakten lokalisiert werden, dass sie der Forschung zugänglich gemacht werden und dass auch die Akten über die Täterinnen und Täter der Forschung und der Bildung zugänglich gemacht werden. Dazu braucht es natürlich auskömmliche Förder- bzw. auskömmliche Haushaltsmittel.
Da geht meine große Bitte an Sie, Parlamentarier und Parlamentarierinnen, die jetzt in diesem Bundestag, aber dann auch im nächsten Bundestag Verantwortung haben, wirklich haushalterisch die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass eine Aufarbeitung und dass eine Forschung tatsächlich möglich ist, dass die Gedenkstätten entsprechende Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt bekommen, dass sie eben ihrem Bildungsauftrag gerecht werden. Das wäre meine große Bitte an Sie.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Hinzu kommt, meine Damen und Herren, dass wir Ausgrenzungen auch heute verhindern und beseitigen müssen.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen aus der Geschichte lernen. Wir müssen verstehen, dass sich Menschen begegnen können. Deswegen meine zweite herzliche Bitte an Sie, die Sie dann auch im neuen Bundestag Verantwortung als Gesetzgeber haben: Bitte sorgen Sie dafür, dass Menschen mit und ohne Behinderung sich begegnen können! Eine Voraussetzung dafür ist die Stärkung von Barrierefreiheit in unserem Land durch Gesetze,
Beifall der Abg. Maja Wallstein [SPD])
als Ergebnis unserer Geschichte und auch als Lehre aus unserer Geschichte.
Insofern bitte ich Sie, meine Damen und Herren, diesem Antrag möglichst einstimmig zuzustimmen und die Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen, damit eine Aufarbeitung und eine Forschung gut möglich sind – als Lehre aus unserer Geschichte ohne Wenn und Aber.
Herzlichen Dank.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)