- Bundestagsanalysen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Vormittag haben wir hier im Deutschen Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Erschütternd sind immer wieder die Bilder, die uns das Geschehene vergegenwärtigen. Erschütternd sind aber auch die Erkenntnisse, dass jeder zehnte deutsche Jugendliche das Wort „Holocaust“ nicht einordnen kann und 40 Prozent nicht wissen, dass 6 Millionen Juden von den Nazis ermordet wurden. Lassen Sie uns diesem erschütternden Befund entgegenwirken, und zwar vor allen Dingen an den Schulen und an den Hochschulen!
Wir alle fragen uns doch immer wieder: Warum werden ausgerechnet Juden so gehasst? „Es ist unglaublich schwer, wenn nicht sogar unmöglich, etwas zu erklären, das in sich irrational, wahnhaft und absurd ist“, befindet dazu die amerikanische Holocaustforscherin Deborah Lipstadt, die darin den Wesenskern aller Verschwörungsmythen und damit auch des Antisemitismus sieht. Wirklich ratlos sind wir aber, wenn uns das aus Milieus entgegenschlägt, die wir eigentlich für zu klug, zu reflektiert, zu gebildet und auch zu tolerant für derartige Ausfälle und Übergriffe gehalten haben. Antisemitismus und eine gefährliche Israelfeindschaft gibt es ja derzeit weltweit an den Unis. Das ist furchtbar und schlimm. Schlimm ist aber auch die Hilflosigkeit der Autoritäten, nicht nur der protestierenden Studierenden. Über Letztere kann man sich ärgern, aber vor allen Dingen die Hochschulleitungen tragen die Verantwortung dafür, einen klaren Kompass für unser Gemeinwesen vorzugeben.
Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
An der Humboldt-Universität hat man sich nicht darüber aufgeregt, dass rote Hände und Terrorsymbole an die Wände geschmiert wurden, nein, sondern darüber, dass es die Politik sein musste, die die Aktivisten aus der Uni entfernen ließ. An der TU war es die Präsidentin höchstpersönlich, die einen hässlich-antisemitischen Tweet abgesetzt hat und, als ihr eigener AS sie zum Rücktritt aufforderte, das nicht tat.
Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Benjamin Strasser [FDP])
Matthias Kleiner, ehemaliger Präsident der DFG, trat seine Mitgliedschaft im Kuratorium der Uni daraufhin gar nicht erst an. Und vor Kurzem fiel wieder einmal die Alice-Salomon-Hochschule durch fragwürdiges Verhalten ihrer Rektorin auf, die nicht die Besetzer der Hochschule mit ihren Aufrufen zur Zerstörung Israels kritisierte, sondern ausgerechnet die Polizei als Bedrohung sah.
Was muss man tun? Ganz offensichtlich brauchen alle diese Hochschulen professionelle Antisemitismusbeauftragte und einen strukturierten Dialog zwischen den Unis und den deutschen Sicherheitsbehörden.
Nee! Die Lösung liegt woanders!)
Und – das kann ich aus eigener Erfahrung sagen –: Von einem Besuch der Gedenkstätte am ehemaligen KZ Auschwitz kehrt man verändert ins eigene Leben zurück.
Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich bin und bleibe der Überzeugung: Studierende und junge Menschen müssen auch mal rebellisch sein können. Sie müssen Grenzen ausloten; überschreiten dürfen sie sie nicht. Sie dürfen unsere offene Gesellschaft für ihre Meinungsäußerungen nutzen. Missbrauchen sollten sie unser aller Toleranz aber nicht.
Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Sönke Rix [SPD])
Für dieses Spannungsfeld, für die gesamtgesellschaftliche Balance zwischen Meinungsfreiheit, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit einerseits und der klaren Antwort auf Hass, Spaltung, Hetze, Rassismus und Antisemitismus andererseits, ist die Wissenschaftspolitik, sind aber vor allem die Hochschulleitungen und – seien wir mal ehrlich – auch wir alle hier zuständig. – Vielen Dank.
Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Herr Präsident, den Blick habe ich gesehen.
Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Auch für mich ist das heute, nach fast 20 Jahren im Deutschen Bundestag, die letzte Rede. Ich nehme das natürlich zum Anlass, mich zu bedanken.
Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ihnen wird auch noch was fehlen, Herr Kubicki.
Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Disziplin, Frau Kollegin Grütters, das wird mir fehlen.
Das gilt für Ihr Augenmerk in meinem Rücken auch. – Ich möchte mich für die Aufmerksamkeit bedanken, die mir hier zuteilwurde, für die Offenheit im Austausch miteinander, für die – das muss ich mal sagen – große Kollegialität auch immer wieder über Fraktionsgrenzen hinweg und für die Erkenntnisse, die ich sammeln konnte in meinen Fachgebieten Wissenschaft und Kultur.
Hier sind so viele ungemein kluge Menschen, und die Politik öffnet ja die Türen in diese spannenden gesellschaftlichen Milieus; Kai weiß das auch. Meine zehn Jahre im Abgeordnetenhaus, meine knapp 20 Jahre im Deutschen Bundestag, acht Jahre in der Bundesregierung als Staatsministerin für Kultur und Medien, waren für mich jedenfalls beglückende Jahre. Und das habe ich nicht zuletzt Angela Merkel zu verdanken, die mir nie in meine Arbeit als BKM hereingeredet hat, die eine politische Haltung vorgelebt hat, auch in schwierigen Situationen,
Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
und die dabei persönlich bescheiden und sehr menschlich geblieben ist. Für ihre Großzügigkeit und ihr Vertrauen bedanke ich mich auch von hier aus noch einmal. Sie waren der Rückenwind für unsere erfolgreiche Kulturpolitik.
Zwei Dinge liegen mir aber noch am Herzen. Erstens: Kultur und Kirche. Die zwei Felder, die mich zeitlebens sehr beschäftigen, ringen um Antworten auf letzte Fragen. Sie lenken den Blick über Vordergründiges hinaus. Das ist anstrengend; aber es ist auch gut, gelegentlich nach dem Sinn des Lebens zu fragen. Deshalb kann ich nur hoffen, dass wir, gerade auch meine Partei, die das C in ihrem Namen trägt und immer wieder um dessen Bedeutung ringt, nie den sozialethischen Kompass des politischen Handelns vernachlässigt; denn nicht alles regelt der Markt.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zuruf von der SPD: Wow!)
Zweitens. Auch die Kultur ist nicht einfach nur eine Subventionsempfängerin. Ja, sie ist vielerorts ein wichtiger Standortfaktor. Sie ist aber vor allem eines: Sie ist Ausdruck von Humanität. Und nicht erst in der aktuellen Spardebatte und angesichts rechtsradikaler völkisch-nationaler Anwandlungen auch hierzulande bin ich daher mehr denn je eine Befürworterin eines Staatsziels „Kultur“ im Grundgesetz, wo es heißen müsste: Der Staat schützt und fördert die Kultur.
In diesem Sinne verabschiede ich mich aus unserem Hohen Haus. Mein Germanistikprofessor hat mir einst eine Empfehlung –
Frau Kollegin Grütters.
– ich bin beim letzten Satz – auf dem politischen Weg mitgegeben, die vielleicht auch dem einen oder anderen etwas bedeuten könnte, und zwar mit den Worten des Dichters Joseph von Eichendorff: „Hüte dich, sei wach und munter.“ Ich werde das weiterhin beherzigen.
Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP
Die Fraktionen der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich)