Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Hier ist sie wieder, die FDP, so wie wir sie aus der Zeit vor der Ampel kennen, mit einem Gesetzentwurf, den wir auch schon kennen, aus dem Jahr 2018. Es geht wieder um das Arbeitszeitgesetz; es soll moderner, es soll flexibler werden. Doch in Wirklichkeit entstehen mehr Belastung, mehr Stress und weniger Schutz für die Beschäftigten. Und Herr Reichel, die Idee, dass längere Arbeitszeiten wirtschaftliche Probleme lösen könnten, ist nicht nur kurzsichtig, sondern ignoriert vor allem die Wünsche der Beschäftigten. Die FDP und übrigens auch die Union, beide wollen die tägliche Höchstarbeitszeit durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzen. Und konkret heißt das, Beschäftigte sollen künftig eben länger als zehn Stunden arbeiten dürfen, und auch die Ruhezeiten sollen verkürzt werden können. Gleichzeitig behauptet die FDP felsenfest, dass niemand deswegen länger arbeiten muss. Aber genau darum geht es doch. Warum müsstet ihr denn sonst das Arbeitszeitgesetz verändern? Der Arbeitstag soll flexibler und damit auch länger werden, mal 10 Stunden, mal 12 Stunden, mal 13 Stunden, vielleicht mal nur 6 Stunden, je nachdem, wie es dem Unternehmen gerade passt. Modern klingt das nicht, sozial ist es auch nicht, und Freiheit entsteht dadurch schon gar nicht. Und dann kommt das Argument: Es geht ja nur mit dem Tarifvertrag. Lieber Johannes Vogel, genau darüber haben wir bei den Koalitionsverhandlungen diskutiert. Mit so einer gesetzlichen Änderung geraten die Gewerkschaften in ein Dilemma; denn natürlich fordern die Arbeitgeber längere Arbeitszeiten als Gegenleistung für bessere und höhere Löhne. Das schwächt die Verhandlungssituation der Gewerkschaften, und das kann wahrlich nicht Sinn von Tarifverträgen sein. FDP und Union ignorieren auch wissenschaftliche Studien: Längere Arbeitszeiten und verkürzte Ruhezeiten machen krank. Ab der achten Arbeitsstunde steigt das Unfallrisiko, und ab der sechsten Stunde, Herr Oellers, sinkt die Konzentration und damit auch die Produktivität. Politik darf wissenschaftliche Erkenntnisse nicht einfach beiseiteschieben, und vor allem ist der Gesundheitsschutz nicht verhandelbar, auch nicht mit einem Tarifvertrag. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt auch klar: Unterbrochene Arbeitszeiten – also an Tagen, an denen mal gearbeitet wird, mal Kinder betreut werden und dann abends der Laptop noch mal aufgeklappt wird – belasten die Beschäftigten. Der ständige Wechsel zwischen Tätigkeiten – Arbeiten, Spielen, Kochen, Hausaufgaben, Arbeiten – erhöht den Stress und führt unweigerlich zu mehr Krankheitstagen. Bei der Arbeitszeit geht es also zum einen um die Leistungsfähigkeit, aber vor allem um die Gesundheit der Menschen. Gute Arbeit braucht deshalb Schutz, klare Regeln und vor allem Zeit zum Leben. Die Forderungen der FDP schaffen auch keine Freiräume für Familie und Beruf. Im Gegenteil: Wer plötzlich zwölf Stunden am Tag arbeiten soll, hat weder Zeit für Kinderbetreuung noch für Hausarbeit. Und mit unberechenbaren und wechselnden Arbeitszeiten wird es noch schwieriger, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bekommen. Wer, bitte schön, arbeitet in dieser Situation länger? Natürlich die Männer. Und damit verstärken die Pläne der FDP genau die Ungleichheiten, die wir doch endlich überwinden wollen. Eine Politik, die alte Rollenmuster zementiert, brauchen wir definitiv nicht. Was wir wirklich brauchen, ist Zeitsouveränität; das bedeutet, Arbeitszeitmodelle und eine Arbeitszeitkultur, die sich an den Wünschen der Beschäftigten orientieren, beispielsweise eine Familienarbeitszeit, bei der beide Elternteile 32 Stunden arbeiten, oder eben die Viertagewoche, die mehr Zeit für Familie, Ehrenamt und Erholung schafft. Bei der Zeitsouveränität geht es auch um die Lage der Arbeitszeit, also beispielsweise darum, dass Beschäftigte regelmäßig einen freien Nachmittag brauchen, weil sie sich um ihre alten Eltern kümmern wollen. Dazu gehört natürlich auch das Recht auf Homeoffice und mobiles Arbeiten mit klaren Regeln und fairen Absprachen. Zeitsouveränität ist wichtig; denn Arbeitszeit ist auch Lebenszeit. Die FDP will die Gesellschaft flexibilisieren, damit sie in die digitale Arbeitswelt passt. Wir aber wollen eine Arbeitswelt, die sich an den Menschen orientiert. Das ist dann auch eine Antwort auf den Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel; denn wenn Arbeit besser ins Leben passt, dann werden mehr Frauen arbeiten, und die Frauen, die heute schon arbeiten, können dann auch mehr arbeiten. Ich denke, Sie alle kennen die Zahlen: Wenn heute alle Frauen mit Kindern unter sechs Jahren so arbeiten könnten, wie sie wollen, dann würden rund 840 000 Frauen wieder in den Beruf einsteigen. Wenn Arbeit also ins Leben passt – für alle: für Frauen, für Männer –, dann steigert das die Produktivität, reduziert das die Krankentage, verbessert das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und erhöht das die Lebensqualität. Und davon profitieren dann alle: die Menschen, die Unternehmen und auch unsere Gesellschaft. Und jetzt kurz in eigener Sache. Das war meine letzte Rede im Hohen Haus. Als Grüne ging es mir immer darum, dass Politik ökologisch und sozial ist. Klimaschutz muss immer mit einer Politik für mehr soziale Gerechtigkeit verbunden werden, und es muss fair und gerecht in unserer Gesellschaft zugehen. Die Stichworte sind hier alle bekannt: gute Arbeit, Tarifbindung, Mitbestimmung, soziale Absicherung, ein soziokulturelles Existenzminimum, Chancen, Perspektiven. Und vor allem müssen all diese Debatten mit Wertschätzung geführt werden, weil es um Menschen geht. Deshalb kritisiere ich momentan die harsche Kampagne gegen das Bürgergeld. – Das sind grob gefasst meine Ziele, meine politischen Anliegen. Nach vier Legislaturperioden ist jetzt gut. Ich gehe zurück an die Basis. Ich bedanke mich für die vielen tollen und interessanten Begegnungen mit den Abgeordneten der demokratischen Fraktionen. Ich bedanke mich für die guten inhaltlichen und auch streitbaren Diskussionen. Ich wünsche alles Gute. Bleiben Sie nah an den Menschen! Und vor allem: Verteidigen Sie unsere Demokratie! Vielen Dank.