Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP ist nicht mehr in der Regierungsverantwortung. Sie trägt keine Verantwortung in der Regierung, ist also im Wortsinne regierungsveranwortung-los. Wie wir heute lesen konnten, hat die FDP auch viel dafür getan und viel dafür gearbeitet, um in diesen verantwortung-losen Zustand zu kommen. Nein, dafür fehlt mir weiterhin jedes Verständnis. Wofür ich begrenzt Verständnis habe, ist, dass ihr, frisch in der Opposition angekommen, wieder auf die reine Parteilehre geht, das Profil schärfen wollt und Anträge stellt, die ihr in der Regierungskoalition so nicht stellen konntet. Dennoch habe ich schon noch so viel Verantwortung erwartet, dass ihr euch um die Beantwortung der spannenden Frage nicht herumdrückt, wie ihr die Mindereinnahmen von zunächst 4,5 Milliarden Euro und nach der vollständigen Abschaffung des Soli 2027 von über 14 Milliarden Euro für den Bund kompensieren wollt. Ihr belasst es in dem Antrag einzig bei der Auflistung dieser Mindereinnahmen, und das ist dann doch ein bisschen dürftig. Von einer konstruktiven Opposition hätte ich mir doch ein bisschen mehr erwartet. Ich finde an dem Antrag noch etwas anderes bemerkenswert. Die FDP klagt, vertreten durch sechs Abgeordnete, vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Soli. Es steht mir hier jetzt nicht zu, zu spekulieren, wie das Verfahren ausgeht, auch wenn der Bundesfinanzhof im Januar 2023 zugunsten der Rechtmäßigkeit geurteilt hat. Das Urteil, das wir in absehbarer Zeit erwarten dürfen, nehmen wir natürlich an, wie es nach dem Prinzip der Gewaltenteilung unserer Demokratie zweifelsohne vorgesehen ist, egal wie es ausgeht. Was ich aber schon bemerkenswert finde: Die FDP klagt auf Verfassungswidrigkeit, schlägt aber hier eine schrittweise Abschaffung in zwei Stufen vor. So ganz überzeugt von den Erfolgsaussichten der Klage scheint die FDP offenbar nicht zu sein. Wir werden selbstverständlich schon früh in der bald beginnenden 21. Legislaturperiode darüber reden müssen, wie lange der Soli noch bestehen bleibt. Vor allem aber werden wir darüber reden müssen, wie die im kommenden Jahr auf 13 Milliarden Euro bezifferten Einnahmen anderweitig früher oder später kompensiert werden können. Das gelingt beispielsweise auf faire Weise durch eine Integration in den normalen Einkommensteuertarif. Ich weiß natürlich auch, dass Unternehmen den Soli sehr wohl noch zahlen, und natürlich würde ein Wegfall unsere Unternehmen entlasten. Aber glaubwürdiger wäre das Eintreten der FDP für unsere Unternehmen, wenn sie mit dabei wäre, die schon länger bestehende strukturelle Schwäche unserer Volkswirtschaft anzugehen, wenn sie zum Beispiel bessere Abschreibungsmöglichkeiten, eine Anhebung der Forschungszulage, eine Förderung von Elektrodienstwagen, eine Reform der Steuerklassen und eine Teilzeitaufstockungsprämie, um Hindernisse bei der Erwerbstätigkeit von Frauen zu beseitigen, und vieles mehr fordern würde. Aber das alles und noch viel mehr hatten wir gemeinsam in der Wachstumsinitiative im Sommer fest vereinbart. Das alles war Teil des Steuerfortentwicklungsgesetzes bzw. Teil der Verhandlungen dazu; wir reden später am Tag noch darüber. Nun kommt nichts davon, weil die FDP, Herr Dürr, in diesen Punkten nicht mehr mitgeht und weil auch die Union mit uns über keine dieser Maßnahmen überhaupt erst reden wollte. Demokratie lebt vom Dialog, vom Austausch, von Kompromissen. Unsere parlamentarische Arbeit lebt vom Dialog, vom Austausch, von Kompromissen. Ich finde das alles maximal schade und kann nur sagen: Echte Dialogbereitschaft sieht anders aus. An uns hat es nicht gelegen. Unsere Hand war ausgestreckt. Wir hätten diese Dinge zum Wohl unserer Unternehmen und des Landes gerne noch beschlossen. Schließlich: Von dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit muss ich bei dem Antrag erst gar nicht reden. Die alleinige Abschaffung des Solis steht für eine Finanzpolitik, die einseitig auf die Entlastung der Reichsten abzielt und die Lasten auf die breite Mehrheit der Gesellschaft verschiebt. Das werden wir so nicht unterstützen können; auch das ist selbstverständlich. Was ist in diesen herausfordernden Zeiten wichtig? Es muss doch darum gehen, das Leben für all diejenigen dauerhaft wieder bezahlbar zu machen, die unter der hohen Inflation, die wir im Zuge der Pandemie und des Kriegs in der Ukraine in den letzten Jahren erlebt haben, besonders stark gelitten haben, beispielsweise durch eine Absenkung der Stromsteuer für alle, beispielsweise durch eine noch stärkere Anhebung des Kindergeldes, beispielsweise durch die Einführung einer Steuergutschrift für Alleinerziehende oder eines Alleinerziehendengeldes, beispielsweise durch eine Anhebung des Mindestlohnes oder, oder, oder. Zu all dem hört man von der FDP nichts. Einst sprach Christian Lindner von einem „mitfühlenden Liberalismus“. Was ist davon übrig, wenn eine der ersten großen Initiativen in der Opposition beantragte Steuersenkungen für die höchsten Einkommen sind? Der Antrag mag „FDP pur“ oder „FDP only“ sein; für seriöse Regierungspolitik ist das zu wenig – viel zu wenig – und vielleicht sogar verantwortungslos. Ich danke für die Aufmerksamkeit.