Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hört sich zunächst einmal ganz simpel an: Unser Verfassungsgericht besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richterinnen und Richtern, die nach zwölfjähriger Amtszeit nicht mehr wiedergewählt werden können und maximal bis zum 68. Lebensjahr amtieren. Das ist bereits seit Jahrzehnten so, hat sich bewährt, und das nehmen wir jetzt ins Grundgesetz auf. Der Hintergrund dieser scheinbaren Banalität ist allerdings existenziell für unsere Demokratie. Wir haben in letzter Zeit beobachten müssen, wie antidemokratische Kräfte diesseits und jenseits des Atlantiks ihre neue Stärke nutzen, um als Erstes die Justiz anzugreifen. Da wurde die Amtszeit von Richtern verlängert oder verkürzt, neue oder zusätzliche Richter wurden auf Lebenszeit ernannt, bis die politische Unabhängigkeit unterzugehen droht. Die Justiz steht im Feuer der Antidemokraten; denn Demokratie und Rechtsstaat funktionieren nur miteinander. Ohne Rechtsstaatlichkeit bliebe von einer Demokratie nur die Diktatur der Mehrheit. Doch der Schutz der Menschenwürde durch die Garantien des Rechtsstaates ist Kern unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Diese werden wir verteidigen, mit allen Mitteln, die uns das Grundgesetz an die Hand gibt. Darauf können Sie sich verlassen. Sehr geehrte Damen und Herren, die Verteidigung unseres demokratischen Rechtsstaates können wir als Gesellschaft nicht allein an Verfassungsgericht und Parlament delegieren, auch nicht an die Politik, wo viele gar nicht realisieren, dass sie selbst gemeint sind. Es ist vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die uns alle fordert, unabhängig von Amt und Mandat: in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Familie, im Freundeskreis, im privaten wie im öffentlichen Raum. Das sagt sich leichter, als es ist; denn es braucht auch viel Mut, um als Einzelne oder Einzelner zu widersprechen, wenn menschen- und demokratieverachtende Äußerungen zum Mainstream werden. Mit dem Grundgesetz und unserem Verfassungsgericht sind wir grundsätzlich gut aufgestellt für die kommenden stürmischen Zeiten; doch wissen wir aus der Geschichte, dass Institutionen uns die Verantwortung nicht abnehmen können. Die Standfestigkeit unserer Demokratie hängt davon ab, dass wir, die Menschen, die darin leben, sich einbringen und mitmachen. Für mich ist die Zeit gekommen, meinen Einsatz für Frieden, Recht und Freiheit künftig außerhalb des Bundestages fortzusetzen – wo und wie, wird sich zeigen. Nach über 15 Jahren und 220 Reden ist dies heute meine letzte Rede im Deutschen Bundestag. Ich hatte die großartige Chance, an so vielen spannenden Stellen in diesem Parlament wirken zu dürfen: im Verteidigungsausschuss, als rechtspolitische Sprecherin und Obfrau im Rechtsausschuss, im Richterwahlausschuss, als Parlamentarische Geschäftsführerin, im Ältestenrat und zuletzt auch noch als Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Dafür bin ich unendlich dankbar. Ich empfinde es bis heute als etwas Besonderes, als Vertreterin des deutschen Volkes hier sprechen zu dürfen. Ich habe mich stets bemüht, keinen Unsinn zu reden und die Redezeit einzuhalten. Ich möchte mich heute bei allen Kolleginnen und Kollegen quer durch die Fraktionen bedanken, mit denen ich in den letzten 15 Jahren in der Regel sachlich, wenn auch oft kontrovers, diskutiert und um die beste Lösung gerungen habe. Bedanken möchte ich mich auch bei jenen, die mit uns so manche nächtliche Stunde hier im Plenum ausgehalten haben, vertraute Gesichter, die oft schon länger hier sind als die meisten Abgeordneten: unsere Plenarassistentinnen und Plenarassistenten, Stenografinnen und Stenografen und die Mitarbeiter/-innen an der Garderobe, die auch alle immer bis zum Plenarsitzungsende mit uns durchhalten mussten. Passen Sie bitte weiter alle gut auf unser Parlament auf, auf unseren Bundestag, damit hier weiter das Herz einer lebendigen, offenen und demokratischen Gesellschaft schlagen kann! Ich verlasse jetzt dieses Redepult. Es war mir eine Ehre.