- Bundestagsanalysen
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es war ein denkwürdiges Ereignis am 4. Juli 2018, das für die Verfassungsänderung, die wir heute beschließen wollen, mit ein Anlass war. Małgorzata Gersdorf erschien in ihrer schwarzen Richterrobe mit einer weißen Rose in der Hand vor dem Gebäude des obersten Gerichts Polens. Sie war die Gerichtspräsidentin gewesen. Sie war es nach geschriebenem Recht deshalb nur noch gewesen, weil der damaligen PiS-Regierung die Entscheidungspraxis des Gerichts nicht gefiel. Da hatte diese das gesetzliche Höchstalter für Richter – auch mit Wirkung für bereits gewählte Richter – nachträglich gesenkt, um Małgorzata Gersdorf vorzeitig aus ihrem Amt zu entfernen. Und das war nur eines von vielen Kapiteln der polnischen Verfassungskrise.
Die Botschaft der Macht an das Recht sollte lauten, dass die Macht immer stärker sei als das Recht, und das wollte Małgorzata Gersdorf nicht hinnehmen. Daher betrat sie auch nach Inkrafttreten der neuen Regelung über Wochen hinweg weiter an jedem neuen Tag ihren alten Arbeitsplatz. Und weil man sich im katholischen Polen sehr gut an den Heiligen Augustinus erinnerte, jubelten ihr zahllose Menschen zu; denn, so sagte der Heilige Augustinus, wenn man dem Staat das Recht nimmt, ist er nichts weiter als eine Räuberbande. Tun wir es diesen vielen Menschen bitte in diesem Augenblick gleich: Applaudieren wir für einen Augenblick für diese mutige Frau, die bei unseren Freunden in Polen zum Symbol des Rechtsstaats geworden ist, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen.
Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Linken)
Was hat das nun mit Deutschland, unserem Bundesverfassungsgericht und der vorliegenden Verfassungsänderung zu tun? Das liegt auf der Hand: Nach den Katastrophen des Dritten Reichs, des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts wussten wir Deutschen, wie sehr Augustinus recht hatte. Wir wussten, was für eine Räuber-, ja sogar Mörderbande ein Staat sein kann, der sich jeder Mäßigung durch das Recht entledigt. Daher wollten die Mütter und Väter des Grundgesetzes klarstellen:
Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Alle Macht, auch die demokratisch legitimierte Macht, muss durch das Recht gemäßigt werden; denn sonst droht eine Tyrannei der Mehrheit.
Zurufe der Abg. Stephan Brandner [AfD] und Beatrix von Storch [AfD])
Daher fügten sie die neue Institution des Bundesverfassungsgerichts in die Verfassung ein. Und dass Sie das in der AfD nicht ertragen können,
Es ist wirklich unerträglich, was Sie da vor sich her schwatzen! Unglaublich!)
zeigt nur, dass Sie von unserer liberalen Demokratie nichts verstanden haben.
Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dieses Gericht sollte die Macht besitzen, sogar Parlamentsgesetze außer Kraft zu setzen, wenn diese die unveräußerlichen Rechte der Menschen oder grundlegende Verfassungsprinzipien verletzen.
Zuruf des Abg. Jörn König [AfD])
Dieses Gericht hat in den Jahrzehnten seines Bestehens sich als Hüter der Verfassung, der Freiheit und der Grundrechte bewährt.
Was war denn während Corona?)
Es ist eine unverzichtbare Säule unseres Verfassungslebens, und viele unserer Nachbarn haben es sich daher zum Vorbild genommen. Deshalb können wir dankbar und stolz auf unser Bundesverfassungsgericht sein, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber nicht nur unsere Nachbarn haben etwas von uns gelernt, als sie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs häufig ähnliche Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht etabliert haben, sondern auch wir haben etwas von unseren Nachbarn gelernt: Wir haben gelernt, wie verletzlich ein solches Gericht sein kann. Wir haben von ihnen gelernt, dass man ein Verfassungsgericht auch mit Regeln des einfachen Rechts sabotieren kann.
Sie haben ja eine schmutzige Fantasie, Herr Buschmann!)
Deshalb wollen wir die wesentlichen Strukturprinzipien des Bundesverfassungsgerichts auf der Ebene der Verfassung absichern. So entziehen wir diese Regeln dem Zugriff einer einfachen Mehrheit. So schützen wir das Bundesverfassungsgericht besser vor denkbaren Angriffen, wie wir sie bei unseren Nachbarn in Polen beobachten können. Und damit stärken wir eine wichtige Säule unserer liberalen Demokratie, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ich möchte mich am Ende des Verfahrens hier bedanken. Ich möchte mich ausdrücklich bedanken bei den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, die trotz anfänglicher Skepsis kollegial, vertrauenswürdig und sachkundig an dieser Reform mitgewirkt haben. Ich möchte mich bei den Kollegen der SPD, der Grünen und natürlich auch bei meiner Fraktion dafür bedanken,
Da war das Kartell wieder beieinander!)
dass ein Kompromiss, der zu anderen Konstellationen erarbeitet wurde, auch heute hält. Ich möchte mich noch ein ganz kleines Stückchen mehr bedanken bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion FDP.
Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Denn gerade die kleineren Fraktionen leisten bei dem Ersatzwahlmechanismus einen Vertrauensvorschuss gegenüber den größeren, der hoffentlich nicht enttäuscht werden wird.
Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Es ist, glaube ich, ein guter Tag für die Demokratie, weil wir trotz des aufziehenden Wahlkampfs, wo das Trennende häufig im Vordergrund steht, hier demonstrieren, dass uns als Demokraten die Institutionen unserer Verfassung so wichtig sind, dass diese Gemeinsamkeit stärker ist als das, was uns trennt.
Ich danke Ihnen.
Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Als Nächster hat das Wort für die AfD-Fraktion Fabian Jacobi.
Beifall bei der AfD)