Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Zusammenarbeit mit den Freien Demokraten und mir aufgekündigt. In der vergangenen Woche bin ich als Bundesminister der Finanzen entlassen worden. Manchmal ist eine Entlassung auch eine Befreiung. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das Scheitern der Regierung Scholz und die Wahl von Donald Trump zum nächsten Präsidenten der USA fallen nicht nur in dieselbe Zeit; in beiden Ereignissen spiegelt sich auch die Sorge um die wirtschaftliche Zukunft. Im amerikanischen Wahlkampf haben ökonomische Konflikte die Polarisierung der Gesellschaft verstärkt. Bei uns beschleunigt die Stagnation unserer Wirtschaft ebenfalls die Fliehkräfte. Die Menschen spüren, dass in einer Gesellschaft ohne Wachstum Verteilungskämpfe drohen – wenn man nämlich die eigene Lage nur verbessern kann, indem man anderen etwas nimmt. Ich bin überzeugt: Wenn wir unsere Demokratie fördern wollen, dann hilft uns nicht die Nullsummenlogik der Umverteilung, sondern nur Wachstum, Wohlstand und Arbeit für alle. Deutschland steht in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen, nicht nur vor ökonomischen, sondern auch vor Herausforderungen in der Außen- und Sicherheitspolitik. Wir werden die internationale Ordnung, unsere Werte und Interessen, Frieden und Freiheit nicht dadurch sichern, dass Deutschland mit dem erhobenen Zeigefinger andere belehrt. Wie sollten wir unsere Wehrhaftigkeit ohne Wirtschaftskraft stärken? Welchen Eindruck machen unsere Argumente auf andere, wenn wir sie nicht wie in der Vergangenheit mit ökonomischem Erfolg untermauern können? Wir müssen einsehen: Nicht moralische Überlegenheitsgefühle in der Außenpolitik sichern unseren Einfluss; unsere wirtschaftliche Stärke ist zugleich unsere geopolitische Stärke. Der Bundeskanzler sagte im März des vergangenen Jahres ein Wirtschaftswunder mit Wachstumsraten wie in den 50er- und 60er-Jahren voraus. Im März dieses Jahres warnte er vor Schwarzmalerei. Er sprach davon, dass die Klage des Kaufmanns Lied sei. Tatsächlich sehen wir, dass unser Land seit 2014 dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Es werden Zehntausende Arbeitsplätze abgebaut. Viele Menschen fürchten ganz real um ihre Jobs. Die „Financial Times“ fragt, ob das deutsche Geschäftsmodell zerbrochen sei. Die Regierung Scholz ist auch daran gescheitert, dass wir im Kabinett nicht mehr über dasselbe Land gesprochen haben. Wer schon die Herausforderung nicht gemeinsam beschreiben kann, der musste an ihrer Bewältigung scheitern. Deutschland hat unverändert das Potenzial für ein starkes Comeback. Wir haben das Know-how, das Kapital, die Köpfe. Wir sind aber überzeugt, dass wir für einen neuen Aufschwung die Grundanlage einer Wirtschaftspolitik verändern müssen, die unser Land seit mehr als einem Jahrzehnt bremst. Statt eines lähmenden Bürokratismus brauchen wir mehr Vertrauen auf Eigenverantwortung und Unternehmergeist. Wir müssen denen, die etwas können, auch wieder erlauben, dass sie es tun. Statt eines Subventionsstaats, der alles lenken will, muss der Staat sich zurücknehmen, damit Bürger und Betriebe mehr finanzielle Kraft für ihre eigenen Vorhaben besitzen. Und statt eines deutschen Sonderwegs in der Klima- und Energiepolitik brauchen wir mehr Offenheit für Technologie und realistisch erreichbare Ziele. Am Ende ist es eine Frage der Haltung. Es muss die Einsicht neu wachsen, dass dieses Land sich seinen Wohlstand immer wieder erarbeiten muss, bevor er verteilt werden kann. Rot-Grün und die FDP haben sich nach der letzten Bundestagswahl nicht gesucht. Aber in Anerkennung der Realitäten des Wahlergebnisses haben wir unserem Land ein Fortschrittsversprechen gegeben, und manches ist gelungen. Aber auf die zentralen Herausforderungen dieser Stunde haben wir eben keine gemeinsamen Antworten mehr gefunden. Der Bundeswirtschaftsminister hatte zumindest zuerst einen öffentlichen Impuls gegeben. Ich habe Vorschläge für eine Wirtschaftswende vorgelegt. Der Bundeskanzler hat ein sogenanntes Agendapapier eingebracht. Der Vergleich der drei Vorschläge zeigt, dass keine Gemeinsamkeit mehr zur Grundrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik bestanden hat – und im Übrigen auch keine geteilte Einsicht zur Dimension der jetzt notwendigen Anstrengungen. Anders gesagt: Über dem Text von Olaf Scholz steht „Agenda“, aber im Text ist keine Agenda drin. In seinem Buch „Unterm Strich“ schrieb Peer Steinbrück, immerhin ehemaliger Finanzminister und Kanzlerkandidat der SPD – ich zitiere ihn –: Herr Bundeskanzler, wer nur im Kreis läuft, kann keine Fortschrittskoalition führen. Mir wurde nun vorgeworfen, meine Vorschläge zur Wirtschaftswende seien gesellschaftliche Brandstiftung. Spaltet aber nicht ein von vielen als ungerecht empfundenes Bürgergeld? Ist nicht das Unvermögen, die irreguläre Migration zu begrenzen, ein Triggerpunkt der Polarisierung? Und ist es denn unsozial, darauf zu bestehen, dass derjenige, der arbeitet, auch mehr hat als derjenige, der nicht arbeitet? Entspricht das nicht eher dem Gerechtigkeitsgefühl unserer Gesellschaft? Ist es unsozial, wenn man die Generation der Enkel und die Generation der Großeltern versöhnen will, statt Rentenpolitik nur zum Vorteil einer Handvoll Jahrgänge zu machen? Renten kürzen will freilich niemand. Und es ist doch die sozialste Politik, dafür zu sorgen, dass die Menschen keine Angst haben müssen vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes, weil die Wirtschaft floriert. Es ist die Marktwirtschaft, die die Pflöcke einschlägt, an denen wir das soziale Netz aufhängen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schuldenbremse des Grundgesetzes ist für manche hier im Haus eine lästige Fessel, die man nur zu gerne abstreifen wollte. Über ihre ökonomische Bedeutung darf man diskutieren. Auch Friedrich Merz ist heute in diese Debatte eingetreten. Für uns jedenfalls ist sie Garant von Generationengerechtigkeit. Sie zwingt uns, über notwendige Prioritäten zu entscheiden, statt in Verschuldung zu fliehen. Sie hält uns an, nicht immer mehr öffentliches Geld einzusetzen, sondern öffentliches Geld besser einzusetzen. Über all das darf man streiten. Aber solange die Schuldenbremse Bestandteil des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ist, solange sind im Verfassungsstaat Regierung und Parlament an sie gebunden. Am Beginn der Regierung Scholz stand eine Verletzung der Verfassung, wie wir seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 über den von ihm angeregten zweiten Nachtragshaushalt 2021 wissen. Und am Ende der Regierung Scholz steht nun wieder die Schuldenbremse. Denn trotz seines Appells für Kompromissfähigkeit, trotz alternativer Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen, trotz alternativer Vorschläge von mir hatte der Bundeskanzler mich ultimativ aufgefordert, einem Notlagenbeschluss zuzustimmen, um 15 Milliarden Euro zusätzliche Schulden aufzunehmen. Vorgeblich sollte diese Notlage erklärt werden mit der weiteren Unterstützung der Ukraine. Die tapferen Ukrainerinnen und Ukrainer können weiter auf Deutschland zählen, solange es nötig ist. Bei den Freien Demokraten hat jedenfalls niemals jemand gezaudert. Gezaudert, das haben andere. Und ja, eine Verstärkung unserer Anstrengungen ist möglich. Die Ukraine fordert gegenwärtig aber nicht zuerst zusätzliches Geld. 3 Milliarden Euro zusätzliches Geld machen nicht den Unterschied im Gefecht. Die Ukraine fordert zusätzliches Material. Und wenn es stimmt, was die Außenministerin hier eben gesagt hat, in welcher historischen Stunde wir sind, dann muss Deutschland die Kraft zu dem finden, für was es längst in diesem Parlament eine Mehrheit gibt, nämlich die Ukraine auch mit dem Waffensystem Taurus auszurüsten. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ging um etwas anderes. Das war die Forderung nach politischer Unterwerfung oder ein provozierter Koalitionsbruch. Ohne die Gelegenheit zur materiellen Prüfung hätte kein Finanzminister dieser Forderung nachgeben dürfen. Und daher hat die Entscheidung des Bundeskanzlers zumindest etwas Gutes: Der Bruch der Koalition beugte dem Bruch der Verfassung vor. Es berichtet übrigens der „Spiegel“, dass es tatsächlich schon im Sommer vertrauliche Separatgespräche von SPD und Grünen mit dem Bundeskanzler über eine Vertrauensfrage gegeben habe. Wir haben spontane Reden des Bundeskanzlers vom Teleprompter gesehen, und gestern hat der Bundesfinanzminister in einem Interview ausgeplaudert, dass ihm sein Amt schon einen Tag vor dem Ende der Koalition angetragen wurde. Die Bürgerinnen und Bürger können nun beurteilen, wer die Verantwortung für das bestehende Vakuum trägt. Es ist im Ergebnis richtig, dass die Bürgerinnen und Bürger die Richtungsentscheidung jetzt treffen können, zu der die Regierung Scholz nicht mehr die Kraft hatte. Wir hätten einen gemeinsamen Weg, geordnet und in Würde, vorgeschlagen. Nun kommt es zu einer anderen Stilistik. Aber jedenfalls: In 102 Tagen haben die Bürgerinnen und Bürger das Wort. Sie entscheiden jetzt, ob wir das Erwirtschaften wieder wichtiger nehmen als das Verteilen. Sie entscheiden jetzt, ob wir Klimaschutz nicht besser mit Technologie und realistischen Zielen vorantreiben. Sie entscheiden jetzt, ob wir die Weltoffenheit unseres Landes mit mehr Kontrolle und Konsequenz bei der Migration sichern. Sie entscheiden jetzt, ob die Schuldenbremse uns im Interesse der nächsten Generation zu Entscheidungen zwingt oder ob das Tor zu uferloser Verschuldung geöffnet wird. Sie entscheiden jetzt, ob sie ihr Leben in Eigenverantwortung führen wollen oder ob sie dauerhaft von der Politik belehrt werden möchten. Seit mehr als zehn Jahren haben diejenigen, die in diesem Haus links der Mitte sitzen, großen Einfluss auf die Richtung unseres Landes. Ich bin überzeugt: Unser Land muss jetzt von links in die Mitte geführt werden. Deshalb ist diese Neuwahl eine Chance für Deutschland.