Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf der Tagesordnung unserer heutigen Sitzung steht die Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zum Europäischen Rat am 17. und 18. Oktober 2024 in Brüssel. Gehört haben wir eine vorgezogene – fast schon verzweifelte – Wahlkampfrede eines Bundeskanzlers, der mit dem Rücken zur Wand und den Füßen am Abgrund steht. Herr Bundeskanzler, als Nummer eins auf der Tagesordnung des Europäischen Rates morgen steht die Migrationskrise in Europa. Zu diesem Thema haben Sie in Ihrer fast halbstündigen Regierungserklärung zum Tagesordnungspunkt 1 kein einziges Wort gesagt – kein einziges Wort gesagt! Stattdessen haben Sie sich zu Themen geäußert, die rein innenpolitisch motiviert waren und die ganz offensichtlich an Ihre Partei, an Ihre Fraktion gerichtet waren, wo Sie gestern Nachmittag eine Diskussion über die Migrationspolitik hatten, die Sie offensichtlich nur dadurch beenden konnten, dass Sie Ihrer eigenen Fraktion angedroht haben, diese Frage mit der Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag zu verbinden. – Und dass das so vehement bestritten wird von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, ist doch genau der Beweis dafür, dass es stattgefunden hat. Es hat stattgefunden! Herr Bundeskanzler, ich komme zum Tagesordnungspunkt eins des Europäischen Rates. Sie fahren nach Brüssel mit einer Koalition zu Hause, die noch nicht einmal in der Lage ist, in der Migrationspolitik in Trippelschritten voranzukommen. Ich nenne Ihnen mal eine Zahl aus Europa. Auf der Mittelmeerroute sind im Laufe des Jahres 2024 zwei Drittel weniger Migranten nach Europa gekommen als im Vorjahr. Das hängt unter anderem mit der Politik in Frankreich, in Italien, in Spanien und in einigen anderen Ländern Europas zusammen. Der Migrationsdruck nach Deutschland hält mehr oder weniger unvermindert an. Und wenn Sie es in Relation setzen zu dem, wie er in anderen Ländern Europas zurückgeht, dann stellen Sie fest, dass die Zahl in Deutschland sogar noch steigt. Der relative Anteil der illegalen Migration nach Deutschland ist im letzten Jahr größer geworden im Verhältnis zu anderen Ländern in der Europäischen Union. Und dazu sprechen Sie kein Wort heute von dieser Stelle. Seit sechs Jahren, Herr Bundeskanzler, liegen im Bundesrat die Anträge zur Anerkennung von Marokko, Tunesien und Algerien als sichere Herkunftsländer. Es scheitert seit sechs Jahren nicht an uns, auch nicht an Ihnen; es scheitert an den Grünen in 8 von 16 Landesregierungen in Deutschland, die bis heute nicht bereit sind, dieses Thema auf die Tagesordnung des Bundesrates zu setzen. Vor lauter Angst davor, dass aus Ihrer Koalition der eine oder andere unseren Anträgen zustimmen könnte, weigern Sie sich mit Ihrer Verfahrensmehrheit, am Freitagvormittag die Anträge hier auf die Tagesordnung zu setzen und zur Abstimmung zu stellen, die die Zurückweisung an den deutschen Außengrenzen beinhalten. Herr Bundeskanzler, kein Wort von Ihnen dazu in Ihrer Regierungserklärung. Dafür sprechen Sie dann sehr intensiv über Wettbewerbsfähigkeit und Handelspolitik. Ich bin mit Ihnen einer Meinung, dass die Handelspolitik so geändert werden muss, dass nur noch die wirkliche Handelspolitik und nicht mehr die wirtschaftspolitischen Themen der Mitgliedstaaten dort vereinbart werden. Aber hier im Deutschen Bundestag hat es in Ihrer Koalition, mit Ihrer Partei und den Grünen sieben Jahre gedauert, bis der Handelsvertrag mit Kanada überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Die Grünen im Europäischen Parlament stimmen bis zum heutigen Tag gegen jede Änderung der Handelspolitik in der Europäischen Union. Da sind doch nicht wir die Adressaten dessen, was Sie hier gesagt haben, sondern es sind die Koalitionspartner Ihrer eigenen Regierung. Dann kommen wir mal zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Herr Bundeskanzler, Sie haben das hier mit großem Nachdruck vorgetragen. Mit vielem könnte ich mich durchaus einverstanden erklären. Aber der Befund nach drei Jahren Bundeskanzler Olaf Scholz ist doch ganz einfach: Nach drei Jahren sind in Deutschland 300 000 Arbeitsplätze in der Industrie verloren gegangen. Das ist doch nicht die Erblast der alten Regierungen, denen Sie übrigens länger angehört haben als wir. Das ist doch das Ergebnis Ihrer Wirtschaftspolitik der letzten drei Jahre. 300 000 Arbeitsplätze in der Industrie sind verloren gegangen. Sie fahren morgen nach Brüssel als der einzige Regierungschef, der aus seinem eigenen Land berichten muss, dass das Land im zweiten Jahr in der Rezession ist. Sie sind der Einzige. Alle anderen Länder in Europa haben mehr oder weniger ganz ordentliches Wachstum, kein einziges ist das zweite Jahr in Folge in der Rezession. Sie sind es, der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der das in Brüssel so zugestehen muss. Das liegt doch nicht an uns; das liegt doch nicht an unserer Regierungszeit. Im Übrigen: In den letzten 24 Jahren waren Sie in der Regierung. Herr Scholz, tun Sie doch nicht so, als ob Sie mit alledem, was da früher gemacht worden ist, nichts zu tun haben. Sie sind doch an ganz maßgeblicher Stelle in Regierungsverantwortung gewesen. Und auf was Sie sich im Wahlkampf vorbereiten, das ist ja nun auch in Ihrer Rede hier gerade sehr deutlich geworden. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Drohungen mit dem Einsatz taktischer Nuklearwaffen im ganzen Westen – auch bei ihnen – doch erhebliche Wirkungen erzielen. Ich fühle mich in den letzten Wochen immer mehr und immer häufiger an ein Wort des alten französischen Philosophen Michel de Montaigne erinnert, der einmal gesagt hat: Angst ist die Mutter aller Grausamkeiten. Lassen Sie mich das mal zur Klarstellung sagen: Natürlich haben wir in Deutschland zum Beispiel das Problem, dass wir eine erhebliche Zunahme der Beschäftigung, aber keine Zunahme der geleisteten Arbeitsstunden zu verzeichnen haben. Die Produktivität unseres Landes – ich habe es von dieser Stelle aus vor einigen Tagen schon einmal gesagt – hat nicht zugenommen, auch nicht in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung. Jetzt reden Sie über Innovation und viele neue Unternehmen. Tatsache ist doch, dass wir in Ihrer Regierungsverantwortung den höchsten Kapitalabfluss haben, den es jemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in einer so kurzen Zeit gegeben hat. Dafür sind doch nicht wir verantwortlich. Es ist Ihre Verantwortung, Herr Bundeskanzler, dass es zu einem solchen massiven Kapitalabfluss aus Deutschland kommt. Das ist das tägliche Misstrauensvotum – da brauchen Sie gar keine Vertrauensfrage zu stellen – der mittelständischen Industrie gegen Sie persönlich, Herr Bundeskanzler. Das tägliche Misstrauensvotum! Dann lassen Sie mich noch etwas zur Steuerpolitik sagen; darüber können wir uns bei anderer Gelegenheit etwas ausführlicher unterhalten. Aber wenn Sie jetzt in Ihrer Partei nach anderthalb Tagen Beratung als Einziges, was dabei herausgekommen ist, vortragen, Sie wollten 95 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland entlasten und die Reichen – das sind dann ja immer diejenigen, die Sie gerne in den Blick nehmen – sollen das dann bezahlen, haben Sie offensichtlich übersehen, dass diejenigen, die Sie da adressieren, die mittelständischen Unternehmen in unserer Bundesrepublik Deutschland sind, die Arbeitsplätze in diesem Lande schaffen sollen. Was ist das denn für eine Botschaft an diese Unternehmen, die Sie da aus Ihrer Partei heraus abgeben? Nein, meine Damen und Herren, wenn Sie so weitermachen, werden Sie keine Chance haben, Deutschland aus der strukturellen Wachstums- und Beschäftigungskrise herauszuführen. Im Gegenteil: Das Jahr 2025 wird dann möglicherweise das dritte Jahr in der Rezession sein, und das haben dann ebenfalls ausschließlich Sie zu verantworten und niemand anders in diesem Lande. Erlauben Sie mir, dass ich abschließend noch einige Anmerkungen zur Ukraine mache und zur Politik gegenüber der Ukraine. Wir sind uns hier über lange Strecken einig gewesen, dass wir diesem Land wirklich helfen müssen und dass wir viel tun müssen, um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zurückzuweisen. Nur sind wir jetzt im dritten Jahr dieses Krieges. Es steht der dritte harte Winter bevor. Und bei aller Solidarität, die Sie hier auch wieder zum Ausdruck gebracht haben, müssen wir doch heute offensichtlich feststellen, dass das, was wir gemacht haben, nicht reicht, um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden. Im Gegenteil: Dem Land geht es von Woche zu Woche und von Monat zu Monat schlechter. Deswegen erlauben Sie mir, dass ich das hier mal sehr deutlich sage – wir werden ja gleich entsprechende Reden hier hören; aber es betrifft auch, ich gebe das zu, Repräsentanten meiner eigenen Partei –: Die Rufe nach Frieden und nach Diplomatie sind von niemandem hier bestritten. Wir alle wollen, dass so schnell wie möglich Frieden in der Ukraine herrscht. Nur, meine Damen und Herren, zur Erinnerung: Es hat jemanden gegeben, der vor wenigen Wochen genau das getan hat und das, was diejenigen, die jetzt nach Diplomatie und Frieden rufen, wirklich praktisch erprobt hat. Das war der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der wenige Tage, nachdem er Ratspräsident wurde, ohne Mandat – aber immerhin – auf eigene Verantwortung erst nach Kiew, dann nach Moskau und dann in die USA zu Donald Trump gefahren ist. Es war doch genau die Friedensmission, die sich wahrscheinlich Frau Wagenknecht, Sie von der AfD und andere vorstellen. Er ist dorthin gereist. Er hat es sogar seine „Friedensmission 3.0“ genannt. Was war das Ergebnis dieser Friedensmission? Meine Damen und Herren, das Ergebnis dieser Friedensmission war, dass, wenige Tage nachdem er zurückgekehrt war, Putin in Kiew ein großes Kinderkrankenhaus bombardiert hat. Das war die Antwort des russischen Despoten Wladimir Putin. Das ist das Ergebnis von Diplomatie zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Deswegen möchte ich Ihnen sagen, Herr Bundeskanzler – bei aller Zustimmung zu dem, was Sie hier zur Ukraine erneut gesagt haben –: Ich finde, es ist höchste Zeit, dass wir noch einmal ganz kritisch überprüfen, ob es uns eigentlich wirklich gelungen ist, Putin in den letzten zweieinhalb Jahren die Grenzen aufzuzeigen. Es ist uns erkennbar nicht gelungen, und es wird für die Ukraine von Woche zu Woche schwieriger. Ich möchte Ihnen hier den Vorschlag machen, sehr klar und sehr deutlich an die Adresse von Putin zu sagen – und ich bitte Sie, das morgen im Europäischen Rat genau so vorzutragen –, dass wir nicht länger akzeptieren, dass er die gesamte zivile Infrastruktur der Ukraine – Krankenhäuser, Kindergärten – wahllos bombardiert, und dass, wenn er das fortsetzt, in großer Übereinstimmung in Europa entschieden wird, dass die Reichweitenbegrenzung für die Waffen, die die Ukraine hat, jetzt aufgehoben wird. Herr Bundeskanzler, Sie sind auch persönlich mit Ihrer Haltung dafür verantwortlich, dass die Ukraine gegen Putin mit einer Hand auf dem Rücken kämpfen muss. Das geht so nicht weiter. Und wenn Putin das nicht akzeptiert, dann muss der nächste Schritt erfolgen und ihm gesagt werden: Wenn er nicht innerhalb von 24 Stunden aufhört, die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bombardieren, dann müssen aus der Bundesrepublik Deutschland auch Taurus-Marschflugkörper geliefert werden, um die Nachschubwege zu zerstören, die dieses Regime nutzt, um die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu schädigen und zu bombardieren. Herr Bundeskanzler, es wird Zeit, dass Sie – es wird auch Zeit, dass wir das tun – Ihre Angst vor Putin überwinden, um die Grausamkeiten in der Ukraine jetzt wirklich gemeinsam zu beenden. – Ich sehe hier Kopfschütteln bei den Sozialdemokraten. Ich sage Ihnen nur: Wenn wir es jetzt nicht schaffen, das zu tun, dann werden wir in einigen Jahren hier stehen und uns wieder den Vorwurf machen lassen müssen, dass wir eine Lage falsch eingeschätzt haben. Wir haben sie 2014 falsch eingeschätzt. Wir dürfen sie 2024 nicht noch einmal falsch einschätzen. Wenn wir das tun, machen wir uns gemeinsam vor der Geschichte unglaubwürdig, und wir werden einen hohen Preis dafür zahlen, wenn wir jetzt nicht in aller Klarheit und mit großem Nachdruck dafür sorgen, dass dieser Krieg in der Ukraine beendet wird. Und das geht nicht mit Angst, sondern nur mit Entschlossenheit und mit gemeinsamem Vorgehen der Europäischen Union und der NATO-Partner im normativen Westen, nicht im geographischen, sondern im normativen Westen, in der Region der Welt, in der wir das große Glück haben in Frieden und in Freiheit zu leben. Herzlichen Dank, meine Kolleginnen und Kollegen.