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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Werte Gäste auf den Tribünen! Es ist erwiesen, dass die Benutzung von Sicherheitsgurten die Zahl von Unfalltoten und Schwerverletzten erheblich senken kann. Präventive Maßnahmen wie der Sicherheitsgurt zielen darauf ab, Risiken zu verringern und die schädlichen Folgen von Krankheit, Katastrophen und anderen unerwünschten Situationen abzuwenden.
Wenn wir heute hier über die Frühen Hilfen sprechen, dann reden wir ebenfalls über ein wirkungsstarkes präventives Instrument – ein Instrument, das Ressourcen und Kompetenzen von der Kinder- und Jugendhilfe über das Gesundheitswesen bis hin zum ehrenamtlichen Engagement verbindet. Frühe Hilfen bieten den Familien niederschwellige Angebote, die darauf abzielen, Eltern in schwierigen Lebenslagen frühzeitig zu unterstützen, Entwicklungsbeeinträchtigungen zu verhindern und im besten Fall zur Chancengerechtigkeit der Kinder beizutragen.
Wahr ist aber auch, dass die Einführung der Frühen Hilfen erst als Reaktion auf schwerste Kinderschutzfälle erfolgte, als man anerkennen musste, dass das staatliche System nicht immer und vor allen Dingen nicht immer rechtzeitig Zugang zu den belasteten Familien und ihren Kindern hatte.
Was passiert nun, wenn die Frühen Hilfen in diesem Jahr nicht mehr Geld bekommen als die im Haushalt des Familienministeriums vorgesehenen 51 Millionen Euro? Viele Angebote könnten entweder reduziert oder vollständig eingestellt werden. Das betrifft insbesondere Familienhebammen, Familienkinderkrankenschwestern und andere präventive Maßnahmen zur Unterstützung der Eltern. Der Mangel an Fachkräften in diesem Bereich verschärft sich weiter; das wissen wir alle. Und ohne angemessene finanzielle Unterstützung sind die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung oft eben nicht attraktiv genug, um ausreichend qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen oder auch langfristig zu binden. Und das wiederum führt zu einer weiteren Schwächung des Unterstützungssystems. Dies alles erhöht natürlich das Risiko für Kindeswohlgefährdung, Entwicklungsverzögerungen und langfristige psychische Probleme bei Kindern und Eltern.
Nun bitte ich die Haushälter im Saal, hier mal zuzuhören. Eine Folge nicht auskömmlicher Finanzierung dieser präventiven Maßnahmen sind steigende Folgekosten für das Sozial- und Gesundheitssystem. Der Kollege Seestern-Pauly hat gestern im Familienausschuss erkennen lassen, dass Ihnen die Tatsache bewusst ist, liebe Ampelkoalition. Warum handeln Sie nicht?
Beifall bei der CDU/CSU)
Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Gesundheit und Frühe Hilfen sind die Kosten, wenn ein Kind von Vernachlässigung oder Misshandlung betroffen ist, 60-mal höher – bezogen auf alle Leistungen unseres Sozialsystems ab der Kita, verglichen mit den Kosten, die entstehen, wenn wir Familien frühzeitig ab Schwangerschaft und Entbindung präventiv unterstützen. 60-mal höher!
Um es noch mal zu verdeutlichen: In dem Gesetzentwurf des Bundesrates, den wir heute debattieren, ist festgehalten, dass – Stand 2022 – jedes vierte Kind mit mindestens einem psychisch kranken Elternteil aufwächst und circa 3 Millionen Kinder in suchtbelasteten Familien leben.
Die Frühen Hilfen haben nachweislich positive Effekte. Sie nicht auskömmlich zu finanzieren, würde diese positiven Effekte stark gefährden und uns alle teuer zu stehen kommen.
Wir müssen allerdings auch darauf hinweisen, dass es einen erheblichen Änderungsbedarf hinsichtlich der strukturellen Einbindung des Gesundheitswesens gibt. Denn obwohl die Frühen Hilfen eng mit dem Gesundheitssystem verknüpft sind, bleibt diese Zusammenarbeit vielerorts fragmentiert. Bestes Beispiel dafür sind die Lotsendienste in den Geburtskliniken; das klang hier schon an: Alle finden sie toll und großartig, aber keiner will dafür Geld in die Hand nehmen. Dabei sind wir uns doch eigentlich alle einig: Ein wegen Überforderung der Eltern totgeschütteltes Baby sollte es in unserem Land nie wieder geben.
Lassen Sie mich zum Schluss mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem aktuellen Kinder- und Jugendbericht des Ministeriums zitieren:
„Auch wenn gegenüber den Netzwerken der Frühen Hilfen regelmäßig eine hohe verbale Wertschätzung im Hinblick auf ihre Wirkungen formuliert wird, führt die ausbleibende finanzielle Anpassung de facto zu einem Rückgang der Angebote und Strukturen, der sich vor allem in der nicht mehr zeitgemäßen Entlohnung etwa der Familienhebammen äußert und zu einem Rückzug dieser Fachkräfte führt.“
Zitat Ende. – Ich denke, treffender kann man es nicht formulieren. Und diesen Worten müssen nun auch endlich Taten folgen. Eine reine Beschreibung der Situation reicht nicht aus.
Wenn die Parlamentarische Staatssekretärin wie gestern im Ausschuss ausführt, dass ja die 51 Millionen Euro im Gesetz stehen und die Schuld für die Unterfinanzierung bei den Ländern liegt, dann muss ich sagen: Tut mir leid, das ist mir zu billig. Es liegt an uns allen, die Frühen Hilfen insbesondere finanziell, aber auch strukturell so weiterzuentwickeln, dass sie auch den gewachsenen Bedarfen gerecht werden können. Nur dann können wir sicherstellen, dass sie auch in Zukunft als innovatives Instrument der Prävention Bestand haben und das Potenzial entfalten, das wir eigentlich doch alle hier im Hohen Haus sehen.
Vielen Dank fürs Zuhören.
Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank, Frau Kollegin Pahlmann. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Franziska Krumwiede-Steiner, Bündnis 90/Die Grünen.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)