- Bundestagsanalysen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich möchte mit einer traurigen Feststellung beginnen: Einem Fünftel der Familien in Deutschland geht es nicht gut. Dieses Fünftel leidet unter Mehrfachbelastungen wie Armut, Sucht, psychischer Erkrankung oder Erschöpfung. Bei Familien mit kleinen Kindern unter drei Jahren ist sogar ein Drittel mehrfach belastet. Das stellt der neueste wissenschaftliche Bericht zur Bundesstiftung Frühe Hilfen fest.
Das, sehr geehrte Damen und Herren, ist ein Problem: nicht nur für die betroffenen Eltern, sondern auch für die Kinder. Bereits erhöhter Stress der Schwangeren erhöht bei ungeborenen Kindern das Risiko, krank zu werden, und zwar sowohl körperlich als auch seelisch. Bei einer Traumatisierung der Mutter sind negative Auswirkungen sogar noch gravierender. Es ist also ganz klar: Wir müssen hier etwas unternehmen und die Belastungen von Familien unbedingt reduzieren.
Erst im Juli haben wir hier, wie gerade erwähnt, im Bundestag in der ersten Lesung den Antrag „Prävention stärken – Kinder mit psychisch oder suchtkranken Eltern unterstützen“ eingebracht, der erfreulicherweise von allen demokratischen Fraktionen unterstützt wird.
In den Gesprächen, die ich im Vorfeld des Antrags geführt habe, ist mir besonders hängen geblieben, dass etwa 10 bis 15 Prozent aller Frauen eine Wochenbettdepression entwickeln. Wer vor Schwangerschaft und Geburt schon einmal depressive Episoden oder andere psychische Probleme hatte, ist besonders gefährdet. Wird die Wochenbettdepression nicht schnell erkannt und behandelt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Mutter schwieriger eine gute und tragfähige Beziehung zum Kind aufbauen kann. Das kann lebenslange Folgen für diese Kinder haben. Auch Frauen, die unter besonderem Stress standen, zum Beispiel durch Flucht- oder Gewalterfahrungen, haben ein großes Risiko, beschwert in die Beziehung mit dem Kind zu starten.
So weit zu den traurigen Fakten. Aber es gibt auch gute Nachrichten, die ich Ihnen nicht vorenthalten will: Prävention wirkt. Je früher Unterstützung und Hilfsangebote ansetzen, desto besser gelingt es, Eltern und Kinder zu stärken und ihre Bindung zu unterstützen, Gefährdungen rechtzeitig zu erkennen und die Chancen auf ein gesundes und gutes Leben zu verbessern.
Die Frühen Hilfen bieten seit 2007 einen erprobten Werkzeugkasten für wirksame Prävention, um Familien in der frühen Phase zu entlasten und zu unterstützen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP
Genau!)
Nach der Devise „Je früher, desto besser“ sollten schon in der Schwangerschaft über die gynäkologischen Praxen oder in der Geburtsklinik Kontakte zu den betroffenen Frauen, aber auch den betroffenen Männern geknüpft werden. Das lässt sich organisieren: In etwa 400 Kliniken sind bereits Babylotsinnen und -lotsen im Einsatz, die Eltern mit Unterstützungsbedarf identifizieren und in weitere Hilfen vermitteln.
Hört! Hört!)
Die Babylotsen sind eine hilfreiche Ergänzung zu den Frühen Hilfen; denn Eltern sind in der Phase rund um die Geburt besonders offen für Unterstützung, und die allermeisten reagieren positiv und erleben Gesprächsangebote als sehr hilfreich.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Die wertvolle Arbeit der Babylotsen sollte dauerhaft finanziert werden. Darum ist es gut, dass sich Spitzenpolitiker/-innen
Und -außen!)
aus den Ländern darüber Gedanken gemacht und entsprechende Ideen eingebracht haben. Die Hilfe der Babylotsen wiederum kann ihre volle Wirkung aber nur entfalten, wenn wir die Frühen Hilfen vernünftig und verlässlich ausstatten.
Richtig! Tut es doch!)
Der Bundesrat hat dazu schon, wie vor zwei Jahren, einen Gesetzentwurf eingebracht,
Nicht „wie vor zwei Jahren“!)
den ich unterstütze, auch wenn er an der einen oder anderen Stelle ein wenig aktualisiert werden müsste. Nach diesem Entwurf würden die gesetzlich festgeschriebenen Mittel für die Frühen Hilfen kräftig erhöht und dynamisiert, abhängig von Tarifabschlüssen, allgemeinen Kostensteigerungen und der Zahl der Kinder unter drei Jahren.
Ich bin überzeugt: Das Geld wäre auch bei einer angespannten Haushaltslage hier gut angelegt.
Richtig!)
Deshalb haben wir als Parlament in den letzten Jahren den Haushaltsansatz immer wieder aufgestockt, im letzten Jahr um 5 Millionen. Denn wenn wegen Vernachlässigung oder Misshandlung Kinder in Obhut genommen werden müssen oder Familien intensive Betreuung und Begleitung brauchen, um den Kinderschutz sicherzustellen, dann wird es nicht nur später in der Kinder- und Jugendhilfe richtig teuer. Berechnungen gehen davon aus, dass bei einem späten Hilfebeginn die Kosten über die Sozialsysteme mindestens 60-mal höher sind als die Präventionskosten ab der Schwangerschaft und Entbindung. Davon profitieren alle öffentlichen Haushalte: Kommune, Land und Bund. Alle sollten sich deshalb bei der Prävention engagieren.
Beifall bei der SPD sowie der Abg. Denise Loop [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Katja Adler [FDP])
Mindestens genauso wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aber Folgendes: Wenn Kinder in ihrem Elternhaus vernachlässigt, misshandelt, geschlagen oder gemobbt werden, dann durchleben sie viel Leid, das ihnen gute Prävention hätte ersparen können. Darum möchte ich dafür werben, die Vorschläge des Bundesrates zur Finanzierung der Frühen Hilfen zum Ausgangspunkt zu nehmen, um sie dauerhaft besser auszustatten und gemeinsam mit den Ländern und Kommunen dabei zu unterstützen, für belastete Familien ein tragfähiges Netz von präventiven Hilfen zu weben.
Die Frühen Hilfen und natürlich auch Angebote für Familien mit älteren Kindern sind auf so vielen Ebenen wichtig: für den Kinderschutz, für den späteren Bildungserfolg, für unser demokratisches Gemeinwesen und natürlich für alle Betroffenen selbst.
Vielen Dank.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist für die AfD-Fraktion der Kollege Gereon Bollmann.
Beifall bei der AfD)