Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie alle kennen Pornografie. Wir behandeln hier zwei Gesetzentwürfe, in denen es um unser Verfassungsgericht geht. Deshalb beginne ich mit einem berühmten Zitat eines Verfassungsrichters. Potter Stewart, seines Zeichens Richter am Supreme Court der Vereinigten Staaten, schrieb im Jahr 1964, er wolle sich nicht an einer Definition von Pornografie versuchen, aber so weiter: Ich erkenne sie, wenn ich sie sehe. – Im Zuge des gesellschaftlichen Fortschritts stellen sich uns inzwischen andere Fragen: Was ist eine Frau? Auch hier könnte Justice Stewart, lebte er noch, antworten: Ich erkenne sie, wenn ich eine vor mir habe, und ebenso, wenn nicht. Eine andere Frage, die sich in unserer deutschen Gegenwart des Jahres 2024 stellt, ist diese: Was ist eine Demokratie? Hier nun möchte ich mich an einer Definition versuchen: Eine Demokratie haben wir, wenn eine freie Willensbildung des Volkes stattfindet und sodann das Volk politische Veränderungen durch Wahlen und Abstimmungen bewirken kann. Schon hinsichtlich der ersten Voraussetzung kann man Zweifel haben angesichts der wirkmächtigen Vorkehrungen, die Willensbildung im Volk von oben zu lenken: angefangen bei dem viele Milliarden Euro schweren staatlichen Rundfunk bis hin zu den aktuellen Versuchen, auf dem Umweg über die EU zu einer Zensur der sozialen Medien zu gelangen. Darum geht es hier nicht, wohl aber um das zweite wesentliche Element der Demokratie: die Möglichkeit, durch Wahlen etwas zu verändern. Viereinhalb Parteien haben sich zu den vorliegenden Gesetzentwürfen zusammengetan: FDP, CDU/CSU, SPD und Grüne ändern gemeinsam das Grundgesetz und das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht. Sie übertragen Dinge, die bislang im Gesetz geregelt sind, in die Verfassung. Das betrifft etwa die Zahl der Richter, deren Amtsdauer und die Altersgrenze. Zur Begründung wird angeführt, diese bestehenden Regelungen hätten sich bewährt und müssten deshalb in der Verfassung festgeschrieben werden. Das ist nicht von vorneherein abwegig; darüber kann man diskutieren. Dass es notwendig sein soll, erschließt sich nicht, gibt es doch keine erkennbaren Bestrebungen, diese Regelungen zu ändern. Warum also unterzieht man sich der nicht geringen Mühe einer Verfassungsänderung? Die Antwort dürfte dort zu finden sein, wo Sie nicht bestehende Regelungen festschreiben, sondern etwas ändern wollen: Das ist die Wahl der Richter. Lassen Sie mich eine weitere Definition versuchen: Was ist eine parlamentarische Demokratie? Das ist eine solche, in der anerkannt ist, dass nicht die jeweilige Mehrheit im Parlament das Volk repräsentiert, sondern das ganze Parlament, weshalb die jeweilige Minderheit nach festgelegten Regeln einbezogen wird, auch eingedenk, dass die heutige Mehrheit morgen selbst in der Minderheit sein kann. Daran gemessen, mühen sich die antragstellenden Fraktionen nach Kräften, den Parlamentarismus in Deutschland zu demontieren. Die Stichworte „Parlamentspräsidium“, „Ausschussvorsitze“ etc. sind hinlänglich bekannt. Diese Demontage erstrecken Sie nun auf das Verfassungsgericht. Die bestehende Regelung schreibt fest, dass dann, wenn die Minderheit eine bestimmte Größe überschreitet, sie an der Besetzung des Gerichts beteiligt werden muss. Gegenwärtig haben Sie das Gericht unter sich aufgeteilt. Dieser Zustand soll nun festgeschrieben werden, auch für den Fall, dass die Opposition demnächst mehr als ein Drittel des Bundestages stellt. Dann soll nämlich, wenn Sie keinen geeigneten Kandidaten vorschlagen und eine Wahl deshalb nicht zustande kommt, die Wahl der Richter einfach in den Bundesrat verlagert werden. Weil dort aber nicht die Landesparlamente, sondern nur die Landesregierungen vertreten sind, glauben Sie, dass Sie dort auch in Zukunft unter sich sein werden. Wir müssen uns leider fragen: Erkennen wir das, was wir in Deutschland vor uns sehen, auch zukünftig noch als Demokratie? Der Parlamentarismus in Deutschland ist bei der gegenwärtigen Mehrheit erkennbar in schlechten Händen. Wir werden als gute Demokraten, die wir sind, nun umso mehr für andere Mehrheiten kämpfen. Vielen Dank.