Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Osten ist und bleibt das Stiefkind aller Bundesregierungen seit der Herstellung der Deutschen Einheit. Es ist einerseits richtig, dass die Ostdeutschen an Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gewonnen haben. Es wurden Infrastruktur, Wohnungen, Innenstädte, Kirchen, Schlösser und historische Gebäude saniert. Aber andererseits wurden die Potenziale des Ostens weder erkannt noch genutzt. Sie haben die DDR auf Mauertote und Staatssicherheit reduziert und sich für das Leben dort nicht interessiert. Sie haben weder erkannt noch genutzt, dass in der DDR die Gleichstellung der Geschlechter weiter entwickelt war als in der alten Bundesrepublik und dass es sehr viele gut entwickelte Kindereinrichtungen und Schulstrukturen gab. Sie haben sich nicht dafür interessiert, dass die DDR schon eine Behaltegesellschaft war, während die Bundesrepublik damals noch als Wegwerfgesellschaft fungierte. Wäre das übernommen worden, wäre das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen nicht so gedrückt worden, und die Westdeutschen hätten eine Steigerung ihrer Lebensqualität dank des Ostens erlebt. Die Deindustrialisierung brachte Millionen Menschen Arbeitslosigkeit und sollte Konkurrenz für westdeutsche Unternehmen verhindern. Wohnungen wurden massenhaft abgerissen, das am weitesten verbreitete Bahnstreckennetz in Europa deutlich eingeschränkt. Das war Wahnsinn und eine Verschleuderung von Vermögen. Noch heute sind Löhne im Osten geringer, die Arbeitszeit länger, die Renten niedriger, die Arbeitslosigkeit höher. – Sie meinen, das sei nicht das Thema. Es ist für Sie nicht das Thema. Aber den Osten interessiert genau dieses Thema. Diese Erfahrungen lassen viele befürchten, dass der Strukturwandel in der Kohleregion zu ihrem Nachteil ausgehen wird. Jeder Kumpel, jede Kranfahrerin muss wissen, welchen gleichbezahlten Job er und sie danach haben werden, und zwar nicht Hunderte Kilometer entfernt. Anders wird es keine Akzeptanz geben. Wenn Finanzminister Lindner das 49-Euro-Ticket gegen die dringend notwendigen Investitionen bei der Bahn ausspielt, ahnt man, wie das läuft. Für die FDP ist die schwarze Haushaltsnull wichtiger als die Zukunft der Menschen. Wie viele Krisen brauchen Sie noch, um zu begreifen, dass die Schuldenbremse, so wie sie derzeit konstruiert ist, die Zukunft unseres Landes verspielt? Darauf haben nur wir von Anfang an hingewiesen. Das schlimmste Verhalten jeder Bundesregierung bisher bestand und besteht in dem mangelnden Respekt für die ostdeutschen Biografien, obwohl dort viele sehr gut qualifiziert waren und sind. Schon diese Missachtung lässt eine wirkliche innere Einheit nicht zu. Den Strukturwandel in den Braunkohleregionen wirklich fair und sozial gerecht zu gestalten, ist vielleicht eine der letzten Chancen, den Ostdeutschen zu zeigen, dass sie endlich und vollständig gleichberechtigt zum Land gehören. Dafür ist es mehr als höchste Zeit!