Das ist kein Dauerbrenner; das ist schlicht und ergreifend ein Koalitions-Burn-out. Fakt ist: Nie gab es mehr Regeln, nie waren die Bürokratiekosten höher und nie war der Streit um ein Bürokratieentlastungsgesetz größer als in dieser Ampelkoalition. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich musste mir ehrlicherweise die Augen reiben, als ich gesehen habe, dass wir heute in der letzten Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause 68 Minuten in der Kernzeit des Deutschen Bundestages diese Debatte führen. Was könnten wir jetzt nicht alles entscheiden, allein in der Rechtspolitik! Wir könnten entscheiden, wie wir endlich eines der drängendsten Probleme der deutschen Ziviljustiz lösen: die Bewältigung von Massenverfahren. Doch seit inzwischen drei Jahren fällt Ihnen von der Ampel keine überzeugende Antwort auf die Hilferufe der Justiz ein. Ihr Leitentscheidungsverfahren zum Bundesgerichtshof hat sich spätestens in der Sachverständigenanhörung im letzten Dezember als reine Luftnummer entpuppt. Und seitdem, also seit inzwischen mehr als sechs Monaten, passiert gar nichts, weil Sie von der Ampel mal wieder das tun, was Sie alle miteinander am besten können: Streiten! Wir könnten auch entscheiden, wie wir Bürger, Wirtschaft und Verwaltung endlich von unnötiger Bürokratie befreien. Was haben wir hier in den letzten Wochen nicht alles für Ankündigungen gehört! Ich picke mir einfach mal zwei von Ihnen heraus, Herr Minister Buschmann. Bürokratieabbau muss ein Dauerbrenner dieser Legislaturperiode sein. Und dass Sie sich dann allen Ernstes auch noch zu der Aussage versteigen: „Wir haben bisher mehr Bürokratie abgebaut als jede andere Bundesregierung“, das können Bürger, Wirtschaft und Verwaltung doch nur als schlechten Witz verstehen. Hören Sie endlich auf, anzukündigen! Hören Sie endlich auf, zu streiten! Fangen Sie endlich an, zu handeln! Aber stattdessen entscheiden wir heute über das sogenannte Justizstandort-Stärkungsgesetz. Das sieht die Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch vor. Damit greift es eine Initiative des Bundesrats und der Unionsfraktion auf. Das ist gut; das ist richtig. Deshalb stimmen wir heute auch zu. Aber ordnen wir das Gesetz bitte auch mal ehrlich ein: Von den über 700 Senaten an 24 Oberlandesgerichten betrifft das Gesetz am Ende fünf, sechs oder sieben, also weniger als 1 Prozent. Den Titel „Justizstandort-Stärkungsgesetz“ verdient das Gesetz schon deshalb nicht. Ich musste mir auch die Augen reiben, als ich vor einigen Wochen die Änderungsanträge der Ampelkoalition zu dem Gesetz gelesen habe. Fünf Monate nach der Sachverständigenanhörung fallen Ihnen gerade mal acht Änderungen ein: eine, die überhaupt nichts mit dem Gesetz zu tun hat; zwei, die bloße Klarstellungen sind; vier, die Vorschläge des Bundesrates aufgreifen. Damit bleibt eine einzige eigene Idee, nämlich die Senkung der Streitwertschwelle für die Zuständigkeit der Commercial Courts von 1 Million auf eine halbe Million Euro. Was haben Sie denn da wochen- und monatelang veranstaltet? Einen Basar? Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, dass die Gemeinsamkeiten der Ampel auch in der Rechtspolitik mehr und mehr erschöpft sind, dann sind es diese Änderungsanträge. Wir als Unionsfraktion beschränken uns nicht auf ein solches rechtspolitisches Klein-Klein. Wir setzen uns mit unseren Anträgen für eine echte Stärkung des Justizstandortes Deutschland ein: Dafür braucht es erstens eine Reform der AGB-Kontrolle im unternehmerischen Rechtsverkehr, die dem berechtigten Schutzbedürfnis kleiner und mittlerer Unternehmen genauso wie dem berechtigten Interesse von großen Unternehmen nach mehr Flexibilität Rechnung trägt. Wir machen heute einen Vorschlag. Denn zwei Sachverständigenanhörungen haben eindeutig ergeben: Commercial Courts werden nur mit und nicht ohne eine solche Reform ein Erfolgsprojekt. Zweitens braucht es dafür auch eine weitere Modernisierung der ZPO. Wir warten dafür nicht auf immer neue Vorschläge von immer neuen Kommissionen; wir machen selbst Vorschläge. Deswegen wollen wir jetzt mit einem frühen Organisationstermin den Grundstein für ein digitales Vorverfahren legen. Drittens braucht es dafür mehr Personal und mehr Digitalisierung in der Justiz. Wer wie Sie von der Ampel dafür in seinem Koalitionsvertrag einen Pakt für den Rechtsstaat verspricht, dieses Versprechen dann bricht und stattdessen gerade einmal 50 Millionen Euro im Jahr für die Digitalisierung der Justiz ausgibt, der stärkt nicht den Justizstandort Deutschland, sondern der entzieht sich seiner Verantwortung für einen starken, für einen funktionierenden und für einen wehrhaften Rechtsstaat, liebe Kolleginnen und Kollegen. Im Ergebnis ist heute damit ein Tag der verpassten Chancen: der verpassten Chance, wichtige Entscheidungen beim Bürokratieabbau – – Ja natürlich. Herr Kollege Fricke, vielen Dank für die Zwischenfrage. – Erstens ist es nicht diese Koalition, die erstmals die Länder bei der Aufgabe der Justiz unterstützt, sondern es war die Große Koalition mit einem Pakt für den Rechtsstaat, durch den 2 700 Stellen in den Ländern geschaffen worden sind und für die wir 220 Millionen Euro bereitgestellt haben. Zweitens haben Sie in Ihrem Koalitionsvertrag versprochen, diesen Pakt für den Rechtsstaat zu verstetigen und ihn um einen Digitalpakt für die Justiz zu erweitern. Letzteres haben Sie in Form einer mageren Digitalisierungsinitiative getan; Ersteres haben Sie bis heute nicht getan, um dieses Versprechen einzuhalten. Drittens. Lesen Sie doch einfach mal unseren Entschließungsantrag. Dann würden Sie wissen, dass wir als Union uns für einen solchen Pakt für den Rechtsstaat weiterhin einsetzen. Im Ergebnis ist und bleibt damit heute ein Tag der verpassten Chancen: der verpassten Chance, wichtige Entscheidungen beim Bürokratieabbau und bei der Bewältigung von Massenverfahren zu treffen; der verpassten Chance, deutsches Recht durch eine AGB-Reform im unternehmerischen Rechtsverkehr wirklich international attraktiver zu machen, der verpassten Chance für eine echte Stärkung des Justizstandorts Deutschland. Wir als Unionsfraktion wollen diese Chancen heute nicht liegen lassen. Tun Sie es auch nicht und stimmen Sie unseren Anträgen zu!