Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind uns einig darüber, dass eine große Reform der Geschäftsordnung überfällig ist. Seit 1980 hat sich eine Menge angesammelt, nicht nur an Entscheidungen, an Auslegungsentscheidungen auch des Ausschusses, sondern auch an Veränderungen in parlamentarischen Abläufen, sodass das in der Tat angegangen werden muss.
Wenn wir uns fragen, welchen Anspruch wir an uns als Deutscher Bundestag haben, dann ist klar: Wir wollen ein modernes und transparentes Parlament sein, in dem spannende und lebhafte Debatten zu den wichtigen Fragen, die uns, die Bevölkerung, bewegen, stattfinden. Wenn ich allerdings diesen Anspruch an die Reform anlege, dann muss ich sagen: Der Antrag der Ampel wird diesem Anspruch jedenfalls nicht gerecht.
Viele Änderungen, die Sie vorschlagen, sind technischer Natur und eine Anpassung an die Parlamentspraxis. Das ist notwendig; ich will das gar nicht kleinreden. Das ist eine ungeheure Fleißarbeit. Es sind viele gute Dinge, die umgesetzt worden sind. Aber es ist in unseren Augen nicht ausreichend; das darf sich darin nach unserer Auffassung nicht erschöpfen. Wir müssen auch die großen Themen angehen, die da heißen: Wir müssen die Attraktivität der Plenardebatten steigern. Wir müssen die parlamentarische Kontrollfunktion stärken. Wir müssen uns auch über Dinge zumindest austauschen und in die Richtung gehen, in die sich Gesellschaft verändert hat, und das im Parlament abbilden: Wie ist das mit Familienfreundlichkeit für junge Mütter und Väter hier im Parlament? Können wir dort Verbesserungen erreichen? Zumindest muss man in diese Richtung denken. Das tut unser Antrag; das vermissen wir allerdings bei dem, was Sie vorgelegt haben.
Meine Damen, meine Herren, Ihr Antrag hat in meinen Augen auch eklatante Mängel. Das ist der Grund dafür, warum wir bisher nicht mitgehen können; wiewohl ich es auch für ein Erfordernis bzw. für wünschenswert hielte, dass wir bei der Geschäftsordnung, so wie wir das zuletzt auch beim Abgeordnetenrecht geschafft haben, gemeinsam etwas vorlegen. Aber ich meine: In zentralen Punkten schwächen Sie das Parlament mit den Vorschlägen, die Sie unterbreiten. Ich will das an wenigen, aber wichtigen Punkten beispielhaft erläutern.
Das Erste ist die Einschränkung der Redefreiheit. Auch da besteht Einigkeit, dass wir keine diskriminierenden Äußerungen, keine sexistischen Äußerungen, keine rassistischen Äußerungen hier im Parlament wollen. Und ich will das ergänzen: Wir wollen auch keine verfassungsfeindlichen Positionen von diesem Rednerpult aus erleben.
Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [Die Linke])
Das ist allerdings eine Selbstverständlichkeit. Auch heute schon hat der sitzungsleitende Präsident die Möglichkeit, das nach Haus- und Ordnungsrecht zu sanktionieren. Wir müssen nur aufpassen, dass wir mit einer solchen Regelung nicht ein Einfallstor schaffen, um die freie Rede im Parlament einzuschränken, und sei es nur formal.
Das ist der ganze Zweck der Sache!)
Sie ist das Kernrecht des Abgeordneten, sein Statusrecht, ist auch abgesichert durch die Indemnität in Artikel 46 Grundgesetz und hat deshalb einen ungeheuer hohen Stellenwert. Deshalb sind wir mit allem, was auch nur formal dieses Recht beeinträchtigt, sehr, sehr vorsichtig.
Deshalb empfehle ich sehr, das Gutachten, das Professor Gärditz letzte Woche vorgelegt hat, zu lesen, in dem es darum geht, wie wir das Parlament zum Beispiel von Extremisten freihalten können. Er schreibt dort – deshalb habe ich das vorhin in meine Liste mit eingefügt –: Ein Abgeordneter darf, auch wenn uns das nicht gefällt, verfassungsfeindliche Positionen hier vom Rednerpult loslassen.
Das kann man auch anders sehen!
Er hat das Gegenteil gesagt!
Zuruf der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das ist nicht schön, aber das gehört zu unserer Art der Demokratie dazu. Deshalb lassen wir die Finger von der Einschränkung des Rederechts insbesondere da, wo Positionen heute schon klar sind hinsichtlich Dingen, die wir nicht sagen sollen. Das kann der Präsident bzw. die Präsidentin schon heute regeln.
Zweiter Punkt: die Einschränkung des Akteneinsichtsrechts gegenüber der Bundestagsverwaltung, die Sie vornehmen. Ich halte das für ein wichtiges Instrument, um auch die Bundestagsverwaltung kontrollieren zu können; denn wir haben ja kein formalisiertes Fragerecht, wie wir das gegenüber der Bundesregierung haben. Es gibt aber durchaus Fälle, wo die Bundestagsverwaltung wie eine Behörde auftritt; ich nenne nur das Lobbyregistergesetz. Da muss es doch in unserem Interesse sein, auch über eine Akteneinsicht nachforschen zu können: Wird das so umgesetzt, wie wir das ins Gesetz geschrieben haben? Wie ist das mit der Eintragungspflicht? – Das Beispiel zeigt, dass es richtig ist, dass wir dieses Recht haben. Deshalb sollten wir es auch nicht einschränken.
Zuruf der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Der dritte Punkt – und da wird es dann langsam absurd – betrifft die Regeln zur Beschlussunfähigkeit, die Sie vorsehen. Da wird hier in Zukunft die Beschlussunfähigkeit festgestellt, und es hat keine Folgen.
Selbstverständlich! Das ist eine alte Version!)
Die Präsidentin bzw. der Präsident kann die Sitzung mit der gleichen Tagesordnung neu einberufen – keine Konsequenz. Es ist unbequem, ja, auch nachts Mehrheiten sicherzustellen; das ist uns als Regierung auch oft schwergefallen. Das ist aber die Aufgabe von regierungstragenden Fraktionen. Dieser Mühe muss man sich unterziehen. Indem man das einfach aus der Geschäftsordnung wegwischt, ist das Problem nicht gelöst.
Beifall bei der CDU/CSU und der Linken)
Der letzte Punkt: Petitionen sollen im Bundestag beraten werden können, wenn das Quorum von 100 000 Unterschriften erreicht wird. Ich sage: Das halte ich für unnötig und für gefährlich. Für unnötig, weil man als Fraktion heute schon eine Petition bzw. ein Anliegen, das einem wichtig ist, auf die Tagesordnung setzen kann, und für gefährlich, weil 100 000 Unterschriften für Aktivisten überhaupt kein Problem darstellen, und zwar nicht nur für Aktivisten aus Ihrem politischen Umfeld.
Zwölf Petitionen! Zwölf Petitionen waren das!)
Vielmehr reiben sich die aus dem Kreml, die aus dem Ausland und die von ganz rechts hier doch die Hände, um solche Dinge hier dann vorzutragen. Dann kommen wir auch noch zu der Kannbestimmung. Ich möchte den sehen, der eine solche Petition, die von 150 000 oder 200 000 gezeichnet worden ist, nicht ins Plenum bringt. Wie will man das denn der Öffentlichkeit dann erklären?
Beifall bei der CDU/CSU)
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das heißt unterm Strich, meine sehr geehrten Damen und Herren: Ihr Antrag ist kein großer Wurf in puncto Weiterentwicklung der Geschäftsordnung; er enthält gravierende Mängel.
Herr Kollege, bitte!
Aber, Herr Präsident, ich will zum Abschluss noch eins positiv vermerken. – Sie haben einige Vorschläge von uns übernommen: die Schaffung des Automatismus bei der Verhängung von Ordnungsgeldern, die Zulassung von Zwischenfragen in Aktuellen Stunden, dass eine Frist zur Durchführung von Anhörungen vorgesehen ist. Das werte ich als sehr positiv, und das ist vielleicht auch der Ansatz, wo wir noch zusammenfinden können.
Es ist uns auch ein Anliegen – ich sage das ganz deutlich –, dass wir gemeinsam etwas auf den Weg bringen. Aber wir müssen in den zentralen Punkten dann auch Bewegung sehen. Ich hoffe darauf, und ich freue mich auf die Beratungen.
Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege Schnieder. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Filiz Polat, Bündnis 90/Die Grünen.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)