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Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dass die bisherige Debatte dem Anlass nur zum Teil gerecht wurde und angemessen und würdevoll war.
Das machen Sie ja jetzt!)
Wir müssen in diesem Moment – das ist, glaube ich, die notwendige Demut und Selbstkritik – deutlich machen, dass wir in der Tat viel zu selten – und das spüren die Menschen – über die Perspektive der Opfer sprechen und, egal aus welchem Blickwinkel, dann immer die Situation der Täter im Blick haben – Gründe, Erklärungen, Maßnahmen dagegen. Aber am Ende spielt eben das Opfer nicht die Rolle, die die Menschen erwarten. Deshalb muss an erster Stelle das Opfer stehen.
Philippos kam von der Abiturfeier seiner Schwester und hatte ein künstlerisches Leben vor sich. Er war angehender Musikproduzent mit ganz viel Idealismus, ohne sich sicher zu sein, ob er beruflich erfolgreich sein würde. Er hatte eine Familie, die ihn liebend umgab, und Freunde, die ihn unterstützten, auch künstlerische Freunde, mit denen er zusammenarbeitete, so der Hip-Hopper und Beatproduzent Lyran Dasz.
Dieser junge Mensch, der so viel vor sich hatte, der auch zutiefst mit diesem Land verbunden war und sich engagierte, wurde brutalst, grausam, rücksichtslos zu Tode geschlagen und zu Tode getreten. Und das zu benennen und zu sagen, ist erst mal das Wichtigste, und zu sagen, dass nichts, was wir tun werden, ihn wieder lebendig machen wird.
Wir haben aber auch darauf zu achten – leider mussten uns die Angehörigen selbst daran erinnern –, nicht die Instrumentalisierungsmaschine anzuwerfen, die die Person ganz schnell wieder vergessen macht. Das sind Instrumentalisierungen, die sein Onkel Georgios Tsanis, aber auch seine Kernfamilie und der Rapper Lyran Dasz erwähnt haben, die etwa in Posts aus den Reihen der AfD „Remigration jetzt!“
Beifall des Abg. Matthias Helferich [fraktionslos])
und Ähnliches als Reaktion fordern. Das wird dem Thema wahrlich nicht gerecht – und auch die Versuche, dann sofort die Großdebatte zu führen und sofort alle Antworten parat zu haben.
Auch nicht gerecht wäre es, wenn wir umgekehrt agieren, wenn wir sagen: Wir können nicht darüber sprechen, dass der Täter syrischer Herkunft war. Nein, das müssen wir selbstverständlich.
Zuruf des Abg. René Bochmann [AfD])
Und wir müssen auch erwähnen, dass er ein Intensivtäter war. Er wurde zwar noch nie verurteilt, aber er ist durch Eigentums-, Betäubungsmittel- und Gewaltdelikte aufgefallen.
Und es wird dem Anlass auch nicht gerecht, wenn wir die Instrumentalisierungsmaschine anwerfen und dann gleich Gründe nennen, warum die anderen es nicht instrumentalisieren dürfen. Das reicht auch nicht; denn das macht die Tat nicht ungeschehen. Auch dass die Tat von rechts außen instrumentalisiert wird, entbindet uns nicht der Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen und darauf zu antworten.
Das bedeutet aber bei aller Ernsthaftigkeit nicht – das muss ich schon sagen, Herr Schuster –, dass ich den Zusammenhang sehe, warum wir aus diesem schrecklichen Mord, aus dieser Gewalttat dann einen Stopp des Aufnahmeprogramms für Afghanistan ableiten sollten. Gerade diese Form des Umgangs ist nicht seriös, und sie wird dem Anspruch nicht gerecht.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zurufe der Abg. Julia Klöckner [CDU/CSU] und Friedrich Merz [CDU/CSU])
Im Übrigen – das sage ich auch – dürfen wir nicht instrumentalisieren, dass sich diese Familie in der Tat klar gegen rechts ausspricht. Das, was ich gesagt habe, der Schmerz und das Leiden würden genauso gelten, wenn das eine Familie wäre, die sehr konservative oder sogar Rechtsaußeneinstellungen hätte. Der Mord ist der Mord, und das ist zu benennen.
Also bitte: Egal von welcher Seite, werfen wir nicht die Instrumentalisierungsmaschinen an, sondern schauen wir uns an: Was ist in diesem Fall passiert? Wie kann es sein, dass ein solcher Täter nicht sanktioniert wurde? Was läuft gegebenenfalls und tatsächlich falsch, dass Intensivtäter, wie bei einem guten Bekannten von mir, Ali Polat, der in Wuppertal brutalst zusammengetreten wurde und letztlich nach Jahren an den Folgen gestorben ist, nicht in ihrem Tun gestoppt werden?
Das bedeutet aber auch – das sage ich zum Schluss –, dass man, wenn sich eine Innenministerin glasklar in der „Bild“-Zeitung und anderswo
gegen solche Täter ausspricht,
und wenn sie, wie ich selbst erlebt habe, bei Tätern, egal wie sie motiviert sind, an der Seite der Opfer steht, nicht ein Zitat nimmt – ich nehme jetzt keine Hermeneutik dieses Zitats vor – und es nutzt, um ihr zu unterstellen, sie würde Täter-Opfer-Umkehr betreiben.
Man kann das tun, aber wer das tut, Herr Merz, der muss sich auch die Frage stellen, ob es ihm darum geht, solche Fälle zu verhindern und dem Opfer, Philippos, gerecht zu werden, oder ob es ihm darum geht, diesen Anlass zu nutzen, um verbal, rhetorisch und politisch die Innenministerin anzuschießen. Und das ist, denke ich, kein Beispiel, dem wir folgen sollten.
Erinnern wir uns an Philippos und auch an Lyran Dasz, mit dem er zusammen Werke, die man noch auf Spotify hören kann, produziert hat und bei denen man spüren kann, was für ein wunderbarer Mensch er war. Der, der ihn umbrachte, hatte alle Chancen in diesem Land. Er hat sie verwirkt – durch seine Gewalttaten und letztendlich vor allem durch diese brutale Gewalttat. Die Familie des Opfers Philippos und die Angehörigen –
– haben geradezu Übermenschliches getan; denn sie hätten jetzt gute Gründe, auch Rechtsaußendenken anheimzufallen, wütend zu sein, zornig zu sein, –
– auf Flüchtlinge Hass zu empfinden. Und das tun sie nicht. Verneigen wir uns also vor dieser Familie und ihrer Größe!
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat der Abgeordnete Thomas Seitz.