Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist manchmal gut, wenn man solchen Reden nicht zuhört. – Aber wie auch immer! Seit 54 Jahren lebe ich in Deutschland. Ich bin ein Rheer Mädsche, wie man das bei uns in Mönchengladbach sagt. İlkay Gündoğan ist Gelsenkirchener. Er ist Kapitän meiner, unserer Nationalmannschaft. Aber wenn ich die Anträge sehe, die Debatten hier im Parlament höre, dann frage ich mich manchmal: Gehören wir wirklich dazu? – Diese schmerzhafte Frage stellen sich viele, zu viele Menschen in unserem Land, und das, obwohl Deutschland zweifellos seit Jahrzehnten ihre Heimat ist. Sehr geehrte Damen und Herren, Deutschland ist ein Einwanderungsland. Hier leben Menschen aus aller Welt. Vielfalt ist hier Normalität und die Grundlage unseres Wohlstands. Und um den zu halten, braucht die deutsche Wirtschaft gerade heute mehr und nicht weniger Zuwanderung. Immigration wird also eine Daueraufgabe bleiben und damit auch die Integration. Dabei verschließen wir nicht die Augen vor den Herausforderungen. Wir lassen uns aber auch nicht von populistischen Scheinlösungen in die Irre führen. Deshalb eines vorweg: Kulturelle Unterschiede sind nicht pauschal Ursache für Integrationsprobleme. Dieser Schluss greift zu kurz und ist einfach falsch. Was aber sind die Ursachen? Ein Blick auf die bisherige Integrationspolitik zeigt die Fehler der Vergangenheit. Statt Menschen vollumfänglich in unsere Gesellschaft aufzunehmen, wurden Zugewanderte bloß als Arbeitskräfte auf Zeit gesehen. Gerade von der Gastarbeitergeneration wurde erwartet, unsere Wirtschaft zwar aufzubauen, dann aber wieder in ihre Heimatländer zurückzukehren. Bei anderen sorgten Kettenduldungen und jahrelange unsichere Aufenthaltsperspektiven dafür, dass sie hier nie richtig ankommen konnten. Oft gingen fehlende Rechte einher mit fehlenden Sprachkursangeboten. Wie soll sich jemand integrieren, der nur schuftet und keine Zeit hat, die Sprache zu lernen? Eine weitere Ursache für Integrationsprobleme sind die oft hetzerischen Debatten, auch bei uns im Parlament; wir haben es vor meiner Rede hier mitbekommen. Anstatt alle Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen gleichermaßen zu respektieren, redet die Union immer noch von ihrer Leitkultur. In die gleiche Kerbe schlägt die AfD mit ihrem heutigen Antrag. Was passiert, wenn wir uns von Misstrauen leiten lassen und unsere Vielfalt als Bedrohung sehen? Ich sage es Ihnen: Eine solche voreingenommene und argwöhnische Haltung, gerade hier im Parlament, führt dazu, dass sich Menschen nicht als Teil dieses Landes fühlen. Und es führt dazu, dass andere noch mehr Angst bekommen und sich zunehmend unsicher fühlen. Genau dieses Gefühl ist es, das das Zusammenleben in unserem Land erschwert, das Integration scheitern lässt und schlussendlich auch unsere Demokratie schwächt. Wir sollten hier Debatten führen, die das Misstrauen überwinden und den Zusammenhalt stärken. Dazu gehört auch, dass wir eine gute und solidarische Politik für unser Land machen. Ich bin deshalb froh, dass wir in der Ampelkoalition einen Paradigmenwechsel in der Migrations- und Integrationspolitik erreicht haben. Ob Fachkräfteeinwanderungsgesetz, Chancen-Aufenthaltsgesetz oder die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, das heute in Kraft tritt: Ich möchte allen, die dazu beigetragen haben, dafür noch mal ganz herzlich danken. – Ja, das ist in Ihren Augen so, Herr Amthor. Vielleicht sollten Sie sich damit ein bisschen mehr auseinandersetzen. Über all dem steht ein Ziel: Wir wollen eine inklusive und offene Gesellschaft, mit gleichen Rechten und Pflichten für alle hier lebenden Menschen. Denn wir wissen: Kulturelle Vielfalt ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft. Unterschiedliche Sichtweisen, Erfahrungen und Traditionen bereichern unser Zusammenleben und steigern den Wohlstand unseres Landes. Wir alle tragen Verantwortung für unser Land, in dem wir leben, arbeiten und auch alt werden wollen. Ich wünsche mir, dass unsere Kinder und Enkelkinder in einer Stadt, in einem Land aufwachsen, in dem es keine Rolle spielt, woher sie kommen, welche Hautfarbe oder Religion sie haben. Für die Freiheit, in Deutschland selbstbestimmt zu leben: Dafür stehen wir, und dafür machen wir Politik. Vielen Dank.