Meine Kollegin Tessa Ganserer wurde massiv beleidigt und diskreditiert. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Es ist jedes Mal wieder unerträglich, wenn sich die AfD hier als Unterstützerin von Jüdinnen und Juden inszeniert, weil wir alle hier wissen, wie es wirklich ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Vorträge abgebrochen werden müssen, wenn Referierende bedroht werden und Polizeischutz brauchen, dann ist das nicht nur untragbar, sondern eine Gefahr für die Demokratie. Als ich den Titel der Aktuellen Stunde für heute gelesen habe – „Meinungsfreiheit schützen – Boykott von wissenschaftlichen und demokratischen Veranstaltungen an deutschen Hochschulen verhindern“ –, habe ich erst gedacht, wir sprechen im Fokus über Antisemitismus an Hochschulen. Wir erinnern uns an die niedergebrüllte Richterin an der Humboldt-Universität oder an die abgebrochene Hannah-Arendt-Lesung im Hamburger Bahnhof in Berlin. Noch immer sehen wir Gruppen an Universitäten, die Antisemitismus dulden und damit der Gewalt gegen jüdische Studierende den Boden bereiten. Ja, es ist nur eine Minderheit, die sich an antisemitischen Uniprotesten, an Israel-Boykottkampagnen und an Terrorverherrlichung beteiligt. Doch sie schafft es, enorm viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen; denn sie spielt mit Bildern der Gewalt, sie jubelt für die Hamas. Aber heute geht es im Fokus gar nicht um Boykott gegen Israel, sondern Sie benutzen dieses große Wort für etwas ganz anderes. Im Übrigen geht es auch nicht um Wissenschaftsfreiheit, sondern um Protest gegen einen politischen Vortrag. Vorweg: Was Ihnen, Frau Wulf, in Göttingen passiert ist, ist nicht okay. In einer Demokratie muss es immer möglich sein, miteinander zu streiten, ohne sich niederzubrüllen. Aber eines ist doch vollkommen klar: Unter den verhärteten Debatten zum Selbstbestimmungsgesetz hatten vor allem diejenigen zu leiden, die sich für dieses Gesetz und für Transrechte eingesetzt haben. – Ich finde interessant, dass Sie gerade bei dieser Debatte jetzt so schreien. Das ist irgendwie komisch. Mein Kollege Sven Lehmann wurde bedroht und als Frauenfeind beschimpft. Solidarität aus der Union habe ich bei diesen Angriffen vermisst. Im Gegenteil: Es vergeht fast kein Tag, an dem nicht Mitglieder der Union Selbstbestimmung verächtlich machen – in einer Zeit, in der queerfeindliche Angriffe auf einem Höchststand sind. Sprich: An der hässlichen Debatte rund um die Selbstbestimmung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, sind Sie nicht ganz unschuldig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie lebt von Wissenschafts- und Meinungsfreiheit. Demokratie zu verteidigen, bedeutet, diese Freiheiten zu schützen vor Desinformation und Verschwörungstheorien; denn Realität ist ambivalent und komplex. Das gefällt uns Menschen nicht. Das fordert uns heraus. Die extremen Rechten haben längst erkannt, wie man davon profitiert. Sie nutzen Halbwahrheiten, Vereinfachungen, das Spiel mit der Verunsicherung der Menschen. Das Geraune davon, dass die LGBTIQ-Bewegung eine Gefahr sei für Tradition und Familie, für die Sicherheit in diesem Land, für Männlichkeit, für Frauen und Kinder, ist Teil rechter, hoch wirksamer Strategie – hoch wirksam deshalb, weil diese Vorstellungen in der gesamten Gesellschaft verbreitet sind. Antifeminismus und Queerfeindlichkeit zielen auf die Beschränkungen von Menschenrechten, und sie bedrohen unsere Gesellschaft als Ganzes. Und dagegen müssen wir Demokratinnen und Demokaten doch zusammenstehen. Nach einem Blick über den Tellerrand wird den meisten hier im Saal klar sein: Das Selbstbestimmungsgesetz gibt einer kleinen Anzahl an Menschen endlich die Rechte, die ihnen schon immer zustehen, Menschenrechte. Gleichzeitig nimmt dieses Gesetz niemandem – absolut niemandem! – irgendetwas weg. Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein zutiefst liberales Gesetz, ein starkes Zeichen einer funktionierenden Demokratie in rauen Zeiten. Und genau deshalb brauchen wir beim Thema Selbstbestimmung keinen Populismus, keine Vereinfachungen, keine Hetze, sondern Bildung, Sensibilität und Empathie. Vielen Dank.