Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Merz, ich verstehe Sie nicht. Warum besteht Ihr Konzept für die CDU/CSU eigentlich darin, dieses Land mit den Menschen, die hier leben, zu spalten oder schlechtzureden? Es wird Ihnen keinen Erfolg bringen, meine Damen und Herren. Denn Menschen und Parteien werden dafür gewählt, dass sie Ideen haben, dass sie Konzepte vorlegen, dass sie Alternativen aufzeigen, aber nicht dafür, dass sie alles nur schlechtreden. Zum Staatsbürgerschaftsrecht, meine Damen und Herren. Ich meine, warum stellen Sie sich hierhin und wissen noch nicht mal das Datum der Einführung? Morgen tritt das neue Staatsbürgerschaftsrecht in Kraft. Morgen tritt es in Kraft und nicht heute. Es ist ein guter Tag für unser Land und für die Menschen, die hier leben, meine Damen und Herren. Es ist ein sehr guter Tag; denn viele Menschen, die es betrifft, leben hier seit vielen Jahren. Über 20 Millionen Menschen haben eine Einwanderungsgeschichte, haben Eltern, Großeltern, Urgroßeltern aus einem anderen Land. Sie leben hier, bekennen sich zu diesem Land und sind Teil dieses Landes mit ihren Familien, ihren Freunden, ihren Kindern. Für sie schaffen wir ein besseres und auch liberaleres Staatsbürgerschaftsrecht, wie es das in vielen anderen europäischen Ländern gibt. All Ihre Aussagen dazu sind wirklich sachlich grundlos; denn Sie wissen, dass in vielen anderen europäischen Ländern längst liberale Staatsbürgerschaftsgesetze bestehen. Das gilt auch für die Menschen, die hierherkommen wollen und sich entscheiden müssen, in welchem der europäischen Länder sie künftig arbeiten und leben wollen, ihren Lebensmittelpunkt haben wollen. Wir haben einen massiven Fach- und Arbeitskräftemangel; wir können eigentlich von einer Krise reden. Einerseits haben wir die inländischen Potenziale zu heben, indem wir Weiterbildung, berufliche Orientierung, Ausbildung, die Bedingungen für ein Studium und all das verbessern. Andererseits dürfen wir Menschen, die hierherkommen wollen, um hier zu arbeiten und ihren Lebensmittelpunkt zu haben, nicht durch einen Bürokratiedschungel und auf Jahre auf Distanz zum Staatsbürgerschaftsrecht verdonnern, sondern müssen ihnen als vollwertigen Bürgerinnen und Bürgern Mitwirkung und Teilhabe ermöglichen. Das ist wichtig und notwendig, und deshalb ist das Inkrafttreten des neuen Staatsbürgerschaftsrechts morgen auch ein wichtiger Punkt. Nach der Europawahl, meine Damen und Herren, geht es jetzt an die Arbeit in Brüssel und in Straßburg. Die Ergebnisse der Europawahl stellen mich und uns nicht zufrieden. Sie sind enttäuschend für uns, und wir werden darüber intensiv diskutieren. Wir haben uns zu fragen: Warum haben wir an manchen Stellen die Menschen im Land mit unseren Vorstellungen nicht erreichen können? Jeder hat da vor seiner Tür zu kehren. Ich glaube, wir alle sind gut beraten, das in Ruhe zu tun – selbstkritisch und selbstreflektiert. Was aber erschütternd ist, ist der Rechtsruck in Europa. In Österreich und Frankreich jubeln Rechtspopulisten. Es ist fatal, dass auch hier ausgerechnet die rechtspopulistische, in Teilen rechtsextreme Kraft der AfD mit zwei Spitzenkandidaten, die Putin den Hof machen und in ganz enger Kooperation mit China stehen – Spitzenkandidaten, die Sie verstecken mussten, weil der Skandal so groß ist –, so viele Prozente erzielt. Das ist erschreckend und beunruhigend, aber muss uns demokratische Kräfte veranlassen, zu überlegen: Wie können wir Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes deutlich machen, warum sie demokratische Kräfte unterstützen sollten, Ideen und Konzepte für Europa unterstützen sollten, die wir hier im Raum vertreten, und nicht die Rückbesinnung auf das Nationale? Denn mit den Ideen, die Sie Gott sei Dank nicht mehrheitsfähig machen werden in diesem Land, weil 80 Prozent der Menschen in diesem Land Ihre Politik ablehnen, wären wir bei einer Renationalisierung. Wir würden in hohem Maße Wirtschaftskraft verlieren; denn Unternehmen würden sich hier nicht mehr ansiedeln, wenn wir mit so einer Rückbesinnung auf das Nationale zu tun hätten, wie Sie das propagieren, und dann auch noch mit einer Orientierung an Autokraten. Das wäre das Schlimmste, was unserem Land passieren könnte, und etwas, was die Zukunftsfähigkeit Europas wirklich gefährden würde, meine Damen und Herren. Wir haben eine Vielzahl von Herausforderungen in Europa. Allen voran geht es darum, jetzt Wirtschaft und Klimaschutz ins Zentrum zu stellen. Es ist unsere Verpflichtung gegenüber künftigen Generationen, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Meine Damen und Herren, die Zeiten, in denen „Wohlstand oder Klimaschutz“ propagiert wurde, sind vorbei. Wirtschaftliche Entwicklung, Prosperität, Jobs der Zukunft, Investitionen in die Zukunft gehen nur, indem wir Wohlstand und Klimaschutz zusammendenken. Das steht jetzt an in Europa; das ist ganz zentral. Denn der Schutz des Klimas, der Schutz der Biodiversität, die Ressourcenknappheit, die Dekarbonisierung, Maßnahmen der Klimaanpassung und der ökologischen Veränderung der Wirtschaft und der Industrie – all das gehört zusammengedacht. Das ist notwendiger denn je, und zwar nicht nur hier bei uns im Land, sondern in ganz Europa. Da kann Deutschland einen großen Beitrag leisten; denn wir haben uns bereits auf den Weg gemacht. Deshalb ist es auch so fatal, wenn Herr Merz glaubt, die Strategie der Union, dieses Land nur schlechtzureden, gehe auf. Gleichzeitig ist klar, dass wir ein klares Bekenntnis aller Mitgliedstaaten zur Unterstützung der Ukraine brauchen. Diese Unterstützung bezieht sich auf humanitäre Unterstützung, sie bezieht sich auf die Fragen des Wiederaufbaus, und sie bezieht sich nach wie vor auch auf die Unterstützung durch Waffenlieferungen und Finanzmittel, die alle Länder zur Verfügung stellen müssen. Herr Dobrindt, ich will Ihnen an dieser Stelle eines sagen: Jeden Tag werden in der Ukraine Städte bombardiert. Wir alle kennen das Leid; auch Sie haben sich gegenüber dem Botschafter und dem Präsidenten entsprechend geäußert. Und drei Tage später, nachdem sie weg sind, kommen Sie mit billigem Populismus daher und reden davon, dass diejenigen Ukrainer/-innen, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, in sichere Gebiete der Ukraine zurückgeschickt werden sollen. Wie herzlos, wie billig ist das denn? Ich finde das infam. Ich habe mich dafür geschämt, dass das von jemandem aus den Reihen der demokratischen Kräfte kommt, meine Damen und Herren. Europa ist unser Zukunftsprojekt, und das müssen wir den jungen Menschen näherbringen, noch mehr, als wir das heute tun. Es geht ganz konkret darum: Was bedeutet es eigentlich in Zukunft für die junge Generation, in Europa zu leben? Wie wichtig ist die Freizügigkeit, also die Möglichkeit, in einem anderen europäischen Land zu leben und zu arbeiten? Was bedeutet es ganz konkret für jeden jungen Menschen, in Europa leben zu können, und das – im Gegensatz zu den Generationen vor uns – in Frieden und Freiheit. Welche Chancen sind damit verbunden? Es geht darum, das alles deutlich zu machen. Ich finde, wir haben hier eine große Verantwortung angesichts der Ergebnisse der Europawahl. Vielen Dank.