- Bundestagsanalysen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich direkt zu Beginn ein paar kurze persönliche Sätze zum gestrigen 30. Jahrestag der Abschaffung des § 175 StGB sagen. Es ist schlimm genug, dass die Strafbarkeit von Homosexualität in der Bundesrepublik bis 1969 vollumfängliche Rechtslage war und § 175 erst gestern vor 30 Jahren, im Jahr 1994, restlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde.
Trotz oder gerade aufgrund dieser traurigen Vorgeschichte ist das gestrige Jubiläum ein Ereignis, das mich persönlich tief berührt. Denn es lässt nicht nur an das unsagbare Leid zurückdenken, das so viele Männer und Frauen in unserem Land in der Vergangenheit erfahren mussten, und zwar einzig und allein deshalb, weil sie liebten, wen sie liebten. Nein, an solchen Tagen kann man vielleicht auch spüren, dass es so etwas wie gesellschaftliche Weiterentwicklung wirklich gibt.
Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken)
Angesichts dieser Vorgeschichte halte ich es für richtig, dass wir uns hier im Hohen Haus immer wieder mit den Rechten und der Situation der Menschen in unserem Land beschäftigen, die sexuellen oder geschlechtlichen Minderheiten angehören.
Eine andere Sache, die Sie mit dem Aktionsplan vorlegen, lieber Herr Lehmann, dagegen irritiert mich, und zwar die Vereinnahmung aller Menschen, die sexuellen oder geschlechtlichen Minderheiten angehören, durch das Label „queer“. Nicht jeder, der homosexuell oder transgeschlechtlich ist, kann mit diesem Label „queer“ etwas anfangen; das sagen mir zum Beispiel schwule Männer oder lesbische Frauen immer wieder. Die Vereinnahmung durch diesen aktivistischen Sammelbegriff lehnen sie erst mal ab.
Schwule, lesbische, transgeschlechtliche, intergeschlechtliche Menschen sind eine sehr heterogene Gruppe, so wie wir als Gesellschaft heterogen sind. Nicht alle wählen grün; nicht alle finden queerpolitische Vorstöße gut,
Immer weniger!)
und nicht alle freuen sich über das Selbstbestimmungsgesetz.
Beifall bei der CDU/CSU)
Diese Differenzierung, finde ich, muss schon stattfinden.
Es ist politisch nicht zielführend, allen ein einheitliches Label überzustülpen und nur noch gruppenbezogen zu denken; denn dann läuft man Gefahr, blind zu werden für das große Ganze und den Einzelnen mit all seinen Besonderheiten und unterschiedlichen Lebenslagen.
Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund noch auf einen konkreten Punkt Ihres Aktionsplans eingehen, der mich besonders verärgert hat; denn Sie kündigen etwas Sinnvolles an, was Sie aber nicht umsetzen. Sowohl im Koalitionsvertrag als auch in Ihrem Aktionsplan sprechen Sie davon, wie wichtig Beratungsstrukturen zum Beispiel für Menschen mit Geschlechtsdysphorie sind, insbesondere für Kinder und Jugendliche und deren Familien. Dies ist ja nun umso wichtiger, wenn Jugendliche durch das Selbstbestimmungsgesetz jetzt bereits mit 14 Jahren selbst ihren Geschlechtseintrag ändern können.
Aber anstatt die Stärkung von unabhängigen, qualifizierten Beratungsstellen tatsächlich in die Tat umzusetzen, behaupten Sie seit Neuestem, dass jede Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe eine solche Beratung entsprechend durchführen könnte. Damit, lieber Herr Lehmann, machen Sie eben nicht das, was Sie ankündigen und was Sie als Staatssekretär und als Queer-Beauftragter eben tun könnten. Sie hätten alle Mittel in der Hand, Beratungsstellen ins Leben zu rufen, aber Sie tun genau nichts.
Beifall bei der CDU/CSU)
Ich glaube, wir brauchen weniger Strategieprozesse oder Aktionspläne und runde Tische. Wir brauchen eine Regierung, die das, was sie ankündigt, dann auch entsprechend in die Tat umsetzt. Das erwarten wir von Ihnen, und da müssen Sie noch nacharbeiten.
Vielen Dank.
Beifall bei der CDU/CSU)
Für die SPD-Fraktion hat nun Anke Hennig das Wort.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)