Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Zur Freiheit gehören die Krisen der Freiheit.“ Dieser Lehrsatz von Ralf Dahrendorf ist nicht nur so aktuell wie am ersten Tag, sondern er beschreibt auch den Zustand unserer Demokratie; denn zur Demokratie gehören auch Krisen der Demokratie, und ich finde schon, dass wir uns aktuell auf dem Weg in eine solche Krise befinden. Vielmehr noch: Wir laufen Gefahr, dass wir wieder zu einem geteilten Land kommen, ein nicht in Nord, Süd, Ost oder West geteiltes Land, sondern gesellschaftlich geteilt: Ein Teil teilt und lebt die demokratischen Werte und den demokratischen Grundkonsens, und ein Teil lehnt diesen Grundkonsens ab, erliegt den Versuchungen der Unfreiheit und will diesen Grundkonsens aufkündigen. Dem können wir nicht tatenlos zusehen, meine Damen und Herren; dem müssen wir uns entgegenstellen. Denn die Fliehkräfte, die auf unsere Gesellschaft vor allen Dingen seit der Pandemie wirken, spüren wir jeden Tag. Es ist erwähnt worden: die zunehmende Polarisierung, das Absolutsetzen der eigenen Meinung, die sinkende Bereitschaft zum Zuhören, zum Akzeptieren von Kompromissen bis hin zu Gewalt gegen andere Überzeugungen, weil man sie noch nicht mal zu ertragen bereit ist. Und Gewalt gegen Politiker wie in Dresden oder wie gestern in der Slowakei sind dann das Endergebnis einer solchen Spirale, Gewalt gegen den Staat und seine Symbole, gegen Personen, die den Staat symbolisieren, wie die Einsatzkräfte von Polizei oder Feuerwehr oder sonstige ehrenamtlich Tätigen. Auch dem können und wollen wir nicht tatenlos zusehen, meine Damen und Herren. Deshalb bin ich dankbar, dass in den bisherigen Reden weitgehend klar wurde, dass sich die demokratischen Fraktionen dieses Hauses einig sind, was Gewalt und Angriffe gegen Ehrenamtliche und Einsatzkräfte angeht, dass diese Grenze nicht in Zweifel gezogen wird und dass die volle Konsequenz des Rechtsstaates greifen muss, um Täter zur Verantwortung zu ziehen. Das letzte Wort muss hier der Rechtsstaat haben, und das wird er auch. Darüber hinaus müssen wir uns aber auch eines eingestehen: Das allein wird nicht reichen, um die Krise unserer Demokratie abzuwenden und die Spaltung der Gesellschaft aufzuhalten. Vielmehr müssen wir stärker für das sorgen, was unsere Demokratie in der Vergangenheit starkgemacht hat. Sie hat bis vor wenigen Jahren starkgemacht, dass wir anders waren, dass die Demokratie auch weniger anfällig für extreme Positionen war. Was ist das? Es ist vor allen Dingen der Kompromiss und die Wertschätzung für den Kompromiss. Hier wird oft auch kritisiert, wie wir in den Regierungsfraktionen Kompromisse herbeiführen. Das kann man kritisieren; das ist auch in Ordnung. Aber am Ende ist es doch klar, dass Kompromisse immer schon der Treibstoff unseres Landes waren. Es war der feste Anker eines demokratischen Grundkonsenses, dass in unserem Land in der Regel eben nicht eine politische Kraft die politische Richtung bestimmt, sondern dass es hier schon immer – in welcher Konstellation auch immer – zu Kompromissen gekommen ist, weil sich politische Kräfte einigen mussten. Ich habe übrigens auch den Eindruck, dass unsere Wähler das von uns erwarten; denn Kompromisse haben am Ende Maß und Mitte. Deshalb ist auch der politische Streit, den wir hier führen, sei es mit der Opposition, sei es in einer Koalition, genau das Richtige. Es stört nicht; im Gegenteil, es ist nicht schlecht. Die Menschen erwarten, dass wir auch innerhalb einer Regierungskoalition egal welcher Zusammensetzung um Ergebnisse streiten. Dass nicht nur wir, sondern auch frühere Regierungen aus unterschiedlichen Parteien bestanden haben, die unterschiedliche Meinungen haben, wissen doch die Menschen. Deswegen ist es wichtig, dass das Ringen um die Argumente, das Ringen um die beste Lösung Bestandteil parlamentarischer Demokratie und auch gesellschaftlicher Demokratie und des gesellschaftlichen Lebens wird. Dann ist der Kompromiss am Ende der Stabilitätsanker für unsere Demokratie, meine Damen und Herren. Der demokratische Kompromiss ist auch kein Nullsummenspiel, bei dem der eine gewinnt und der andere verliert. Der demokratische Kompromiss ist am Ende ein Gewinn für die Demokratie. Ich vermisse es manchmal, dass wir ihn am Ende hier in diesem Haus auch als solchen behandeln, bei aller Kritik, die daran geübt werden kann. Damit das wieder funktionieren kann, müssen wir auch wieder starkmachen, was integraler Bestandteil politischer Auseinandersetzung ist, nämlich Tonfall und Stil der Auseinandersetzung. Am Ende macht der Ton die Musik. Es gibt hier im Haus einige Fraktionen, vor allen Dingen eine Fraktion, die vorangetrieben hat, das zu negieren, indem sie den Ton nach Kräften maßlos überzieht. – Sie wissen genau, dass ich Sie meine. Sie haben es gerade aktuell auch wieder belegt. Deswegen müssen wir der Enthemmung der Sprache entgegentreten. Wir müssen uns selbst an die Nase fassen und dafür sorgen, dass wir inhaltliche und nicht persönliche Auseinandersetzungen hier führen. Alle von uns sind gefordert, dies jeden Tag hier zu machen; denn die Menschen schauen sich an, wie wir miteinander umgehen, und auch das ist Teil der Debatte. Wir müssen Vorbilder sein in der Auseinandersetzung unserer demokratischen Gesellschaft. Herzlichen Dank.