Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen aller Fraktionen! Vom Provisorium zum Exportschlager – seit der Gründung der Bundesrepublik konnten wir vieles machen, hauptsächlich materielle Dinge. Aber bereits 1949 ging es mit etwas Immateriellem und dennoch sehr Wertvollem los. Zumindest einiges Richtige wurde hier bereits dazu gesagt. Das Grundgesetz hat uns ohne Schnörkel und Lametta eine solide, wortwörtliche Grundordnung zur Verfügung gestellt, vielleicht typisch deutsch in Anlage und Rezeption. Und das meine ich durchaus als Auszeichnung hinsichtlich Pragmatik und Unaufgeregtheit. Ja, wir können Demokratie, wir sind dahin gehend nichts Abnormes, es gibt nichts, was mit Misstrauen oder – noch schlimmer – mit Selbstzweifel eingehegt werden muss. Ich sage es gerne auch noch mal hier: Auf das bisher Erreichte können wir alle stolz sein. Aber irgendwie ist der Lack ab, es will keine richtige unverkrampfte Jubiläumsstimmung aufkommen. Von Ihrer aller Seite hier, sei es jetzt Regierung oder eben Union, ist die billige Begründung wie immer gleich parat: Gefahr von rechts. – Es gibt doch tatsächlich eine Partei, die bei den wichtigen Fragen unserer Zeit andere Meinungen hat, die Dinge hinterfragt und Ihnen kuschelige Gewissheiten wegnimmt und – noch viel schlimmer – die dann auch von Millionen Menschen gewählt wird. Und das ist ganz richtig so. Ich bin ja ein eher empathischer Mensch. Wenn ich versuche, mich in Sie hineinzuversetzen, dann muss ich sagen: Sie haben allesamt zu Recht Bammel, weil Sie uns seit Jahren weder mit der billigen Nazikeule kleinkriegen noch mit einer Todesumarmung, wenn Sie sie denn mal versuchen. Was ich Ihnen aber nicht verzeihen kann, ist, dass Sie aus lauter Panik inzwischen das Grundgesetz missbrauchen und es damit verraten. Insgeheim wissen Sie nämlich allesamt ganz genau, dass Sie sich mit Ihren Fingern längst im Getriebe der Freiheit verhakt haben. Noch bedienen nämlich Sie auf perfide Weise die Hebel der Macht und führen einen Inlandsgeheimdienst oder mehrere gegen uns ins Feld, werfen uns vor, den Diskurs zu verschieben. Was für ein schreckliches Verbrechen anscheinend in einer Demokratie! Und das Ganze krönen Sie dann mit Rufen nach Zensur und dem Tatbestand eines Gedankenverbrechens. Sie, wie Sie hier alle sitzen, wollen bestimmen, wer zum Kreis der sauberen Grundgesetzrunde gehört, und verraten damit, wie gesagt, das Grundgesetz selber erst. Das fällt immer mehr Bürgern wie Schuppen von den Augen. Sie betreiben eine wohlfeile Hexenjagd auf uns. Die Gewaltstatistiken sind eindeutig. Frau Lindholz, Ihre Saat geht auf. Und wie früher beim Hexenprozess ist der Delinquent umso verdächtiger, desto harmloser er sich angeblich gibt. Besonders christlich war das damals schon nicht. Auch heute muss man traurigerweise sagen, dass vielen von Ihnen ein „Hexenhammer“ auf dem Schreibtisch besser zu Gesicht stünde als ein Grundgesetz. Vielen Dank.