Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht eines vorab: Mit Ihnen muss sich niemand hier in diesem Haus befassen. Mit Ihnen beschäftigen sich gerade die Gerichte. Das ist der Ausgangspunkt. – Und der Verfassungsschutz. Genau, richtig. Meine Damen und Herren, weil einige auf den Zuschauertribünen sitzen oder sich die Debatte im Livestream angucken, will ich ein bisschen einordnen, was hier gerade passiert. Am Wochenende hat die FDP ihren Bundesparteitag. Das passiert bei demokratischen Parteien regelmäßig. In guten Zeiten hat man die Kraft, auf diesen Parteitagen die Gemeinsamkeiten zu betonen. Es gibt andere Zeiten, in denen man das Eigene stärker nach vorne bringen muss. Ich kenne das. Dann ist das Grün pur, SPD pur, was auch immer. Das ist eine ganz normale Situation. Damit kann eine Koalition sehr gut umgehen. Natürlich formuliert die FDP dort ihre Vorstellungen. Was soll sie denn sonst tun? Das ist doch normal bei dieser Perspektive in diesem Land. Gleichermaßen wenig überraschend ist, was die Union macht. Es ist ein normales Ritual, dass eine Oppositionspartei in einer solchen Situation Vorschläge einbringt, die einer Partei nahestehen. Auch Die Linke spricht hier regelmäßig beispielsweise über die Schuldenbremse oder ähnliche Dinge und empört sich dann hinterher, warum SPD und Grüne nicht zugestimmt haben, obwohl das auch in deren eigenen Programmen steht. Das Gleiche passiert auch hier. Ich finde, dieses Spiel kann man regelmäßig spielen. Herr Linnemann, Sie haben ganz viel Pathos hier reingebracht. Mein Gefühl ist, Pathos und Substanz müssen in ein besseres Verhältnis zueinander gebracht werden. Wenn Sie sagen: „Die Lage ist so ernst“, dann sollten Sie selbst dieser Lage auch mit mehr Ernsthaftigkeit begegnen. Das wäre doch mal ein Beitrag zur Lösung der Probleme. Es ist ja nicht so, als hätte die FDP nicht viele gute Ideen. Die setzt sie ja dann mit der Koalition auch um. Warum wollen Sie die nicht unterstützen? Das wäre doch mal ein Beitrag. Mein Gefühl ist: Der vorgezogene Bundestagswahlkampf um schwarz-gelbe Wechselwähler ist ein spannendes Unterfangen; aber wir haben noch andere Dinge miteinander zu klären. Weil Sie hier nur Wahlkampf geführt haben und auf ihre eigenen Vorschläge gar nicht eingegangen sind, will ich das machen. Und zwar will ich auf das eingehen, was Sie schreiben, und vor allem auf das, was Sie nicht schreiben, was fehlt. Ich möchte etwas zu der Debatte über Überstunden und die steuerliche Begünstigung von Überstunden sagen. Ja, es wäre gut, wenn mehr Menschen mehr arbeiten würden, um bestimmten Situationen in unserem marktwirtschaftlichen Geschehen besser begegnen zu können. Aber warum konzentrieren Sie sich insbesondere auf diejenigen, die schon jetzt 40 Stunden und mehr arbeiten, anstatt beispielsweise anzugehen, dass noch immer viele Frauen in diesem Land gegen ihren Willen in Teilzeit arbeiten? 50 Prozent der Frauen und 13 Prozent der Männer arbeiten in Teilzeit, weil die Betreuungsinfrastruktur nicht ausreicht. Eine wirtschaftspolitische Debatte ohne dieses Fach- und Arbeitskräftepotenzial zu adressieren, ist eine unvollständige wirtschaftspolitische Debatte. Ich habe während meines Zivildienstes in der Altenpflege gearbeitet. Glauben Sie mir, mir sind nicht allzu viele Menschen begegnet, die im Sterbebett gesagt haben: Ach Mensch, hätte ich doch mal mehr Überstunden in meinem Leben gemacht. Ach, hätte ich doch mal am Donnerstagabend länger im Büro gesessen, statt meine Kinder ins Bett zu bringen. – Das Gegenteil ist doch der Fall. Adressieren Sie die wahren Probleme und nicht die fiktiven! Das wäre ein Beitrag zur Debatte. Vor fünf Jahren haben Sie in wirtschaftspolitischen Debatten immerhin noch alibimäßig Wörter wie „Klima“ und „Energiewende“ eingebracht. Nicht mal mehr das machen Sie noch. Dazu passt, dass Ihre EU-Kommissionspräsidentin und Spitzenkandidatin für die Europawahl am 9. Juni jetzt mit dem Programm antritt, die Erfolge der letzten fünf Jahre mit dem Green Deal rückabzuwickeln. Erzählen Sie mir nichts mehr von Planungssicherheit!