Sehr geehrte Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Dass es der AfD beim Thema Antisemitismus rein um ihre eigene rassistische Agenda geht, ist so offensichtlich wie schäbig. Ich will mit einem Zitat beginnen: So äußerte sich Nathalie Friedlender von der Bildungsstätte Anne Frank. Was sie anspricht, ist das Schweigen angesichts antisemitischer Demos und israelfeindlicher Hörsaalbesetzungen, Schweigen, wenn Plakate heruntergerissen werden, die an die Kinder erinnern, die von der Hamas verschleppt wurden. Während die einen von Meinungsfreiheit sprechen, besuchen jüdische Studierende aus Angst keine Vorlesungen mehr. Denn Antisemitismus beginnt nicht erst, wenn aus Parolen ein Faustschlag wird, und Antisemitismus an Hochschulen ist auch nichts, was von Einzelnen ausgeht, nichts, was man durch Exmatrikulation Einzelner aus der Welt schaffen könnte. Wer das denkt, der sieht nicht hin. Das Problem ist eine Gesellschaft, in der Antisemitismus seit Jahrhunderten tief verwurzelt ist, eine Gesellschaft, in der der Antisemitismus von sehr vielen geteilt, nicht verstanden oder aber achselzuckend hingenommen wird. Dieser unsägliche Zustand zeigt das Versagen der letzten Jahrzehnte, und er muss beendet werden. Ja, Studierende und Mitarbeitende an Hochschulen, die Antisemitismus befeuern, sollten mit klaren Konsequenzen rechnen müssen. Wer aber antisemitische Normalität durch Law-and-Order-Politik auflösen will, der irrt sich. Der Beschluss der Hochschulrektorenkonferenz, in dem die Antisemitismusdefinition der IHRA angenommen wurde, sowie der durch die KMK verabschiedete Aktionsplan müssen umgesetzt werden. Antidiskriminierungsstellen an Unis müssen zu Antisemitismus geschult werden, um Jüdinnen und Juden besser unterstützen zu können. Und ja, wir brauchen eine Bildungsoffensive. Denn ein wirksamer Kampf gegen Antisemitismus braucht Pädagoginnen, Dozierende, Juristinnen und Juristen, aber auch Kuratorinnen und Kuratoren und Politiker/-innen, die begreifen, was Antisemitismus eigentlich ist. 2017 befindet das Düsseldorfer Oberlandesgericht, der Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge sei keine antisemitische Tat, sondern Protest gegen Israel. 2020 brüllt ein Neonazi bei einer Demo „Judenpresse“ und „Judenpack“. Die Staatsanwaltschaft sieht keine Volksverhetzung und stellt die Ermittlungen trotz Beschwerden zweimal ein. Das zeigt: Keine Strafrechtsverschärfung wird uns helfen, Antisemitismus besser zu bekämpfen, wenn es weiter am Wissen scheitert. Studien zeigen: Menschen besuchen bei uns jahrelang Schulen und Universitäten, und es gelingt uns nicht, dass sie das eigene antisemitische Weltbild reflektieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Inhalte zum Antisemitismus, zu Israel und zum Alltag von Jüdinnen und Juden müssen entlang der ganzen Bildungskette verankert werden. Es ist Zeit, das gemeinsam mit den Ländern auch anzugehen. Hier sind wir bei dem Thema, das über der heutigen Debatte schwebt. Im Kampf gegen den Antisemitismus können wir nur gemeinsam erfolgreich sein, nur wenn wir es ernst meinen, wenn es uns dabei nicht um die eigene politische Agenda geht, wenn wir bereit sind, eigene Einstellungen zu reflektieren und Kompromisse einzugehen. Jüdinnen und Juden haben zu Recht hohe Ansprüche an dieses Parlament. Auf viele Maßnahmen warten sie seit Jahrzehnten. Liebe Union, wir haben das gleiche Ziel. Davon zeugt auch Ihr Antrag zu Antisemitismus im Bildungsbereich, der sehr viele wichtige Ideen enthält. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, nennt deshalb die Anträge, die wir gerade zu einem gemeinsamen zu verschmelzen versucht haben, ein starkes Signal, eine Sternstunde. Jetzt diesen gemeinsamen Weg aufzugeben, wird unserer Verantwortung nicht gerecht. Meine Kollegin Lamya Kaddor hat Josef Schuster bereits zitiert, weil er es perfekt ausgedrückt hat. Er hat in dieser Woche gesagt: „Der Schutz jüdischen Lebens lässt keinen Raum für politisches Taktieren. Eine Sternstunde des Parlaments darf nicht untergehen im Kleinmut.“ Ja, dieser Appell geht an uns alle. Jüdinnen und Juden in der größten Bedrohungslage seit der Schoah zur Seite zu stehen, ist unser aller Verantwortung. Aber vor allem an Sie von der Union appelliere ich: Setzen wir ein starkes Zeichen. Gehen wir den Weg im Kampf gegen den Antisemitismus gemeinsam, für eine weitere Sternstunde des Parlaments.