Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich glaube, die AfD ist die letzte Partei, die hier glaubwürdig den Kampf gegen Antisemitismus für sich proklamieren kann. Hass und Hetze sind Jüdinnen und Juden in diesem Land inzwischen lange gewohnt. Selbst körperliche Gewalt müssen sie über sich ergehen lassen. Verschwörungen über jüdisches Leben und Wirken müssen sie qualvoll ertragen. Für alles Übel in der Welt verantwortlich gemacht zu werden, ist ein altes antisemitisches Narrativ, das seit Jahrhunderten existiert, und die Auseinandersetzung damit ist Teil jeder jüdischen Identität weltweit. Jüdischsein bedeutet, immer wieder in Ungewissheit über die eigene Sicherheit zu leben, andauernd die eigene Identität und das Selbstverständnis erklären oder rechtfertigen zu müssen. Zu all dem Leid kommt, dass von Jüdinnen und Juden weltweit vielfach erwartet wird, nicht so oft über diese Diskriminierung zu sprechen, ihre Erfahrungen herunterzuschlucken und einfach nicht weiter aufzufallen. Aber geht es nicht endlich auch darum, dass wir uns selbst stärker die Frage stellen, was Bürgerinnen und Bürger mit jüdischem Glauben eigentlich von uns als Nichtjuden erwarten? Was erwarten Jüdinnen und Juden von uns in der Politik, wenn sie tagtäglich latenten und manifesten Antisemitismus erfahren, wenn sie Angst um ihre Kinder in Kindergärten, Schulen und Universitäten haben, wenn sie in ihre Synagogen und Gemeinden gehen und eine Kippa, einen Davidstern tragen wollen? Was sie jedenfalls nicht erwarten, sind Floskeln, leere Worte und vor allem parteipolitische Manöver, bei denen sie selbst allenfalls ein Mittel zum Zweck sind, ein austauschbares Mittel zum Zweck. Die jüdische Community erwartet zu Recht, dass wir als demokratische Fraktionen dieses höchsten Hauses des Landes unsere parteipolitischen Interessen zur Seite stellen und uns, verdammt noch mal, zu einer gemeinsamen, unmissverständlichen und wahrhaftigen Reaktion zusammenraufen – bei allen Differenzen und Streitereien zwischen und innerhalb Regierung und Opposition, meine Damen und Herren. Die Bekämpfung des Judenhasses ist und bleibt eine zu tragende Rolle und Säule unseres demokratischen Staates, und zwar nicht nur wegen der singulären Vernichtungsmaschinerie, die unsere Vorfahren mit dem Zivilisationsbruch der Shoah über dieses Land gebracht haben, sondern auch wegen des Hier und Jetzt im 21. Jahrhundert. Es kann nicht sein, es darf nicht sein, dass die Union den interfraktionellen Weg verlässt und ihre eigenen Anträge in das Plenum einbringt. – Ja, ich hätte mir auch eine schnellere Einigung gewünscht, Herr Frei. Hier jetzt aber mit dem Finger auf uns zu zeigen und zu sagen, wir seien schuld, das ist bei einem für unser Land mit seiner Geschichte und Zukunft so fundamentalen Thema wirklich absolut nicht angebracht. So etwas darf es nicht geben. Liebe Union, kommen wir mal zu Ihren Anträgen, die wir heute hier debattieren. Sie weisen leider den immergleichen parteipolitischen Reflex auf: Wenn es um Antisemitismus geht, wollen Sie stets mit dem Finger auf Minderheiten zeigen, Ihre politischen Gegner. Dass aber Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft, auch wenn hier negiert, existiert und wir uns alle selbst immer wieder reflektieren müssen, kommt bei Ihnen kaum vor, und das, obwohl laut Mitte-Studie über 20 Prozent der Deutschen offen antisemitische Einstellungen haben, antisemitische Narrative bis weit in die gesellschaftliche Mitte anschlussfähig sind und selbst die CSU in Bayern es nicht schaffen konnte, einen Wirtschaftsminister und Vizepräsidenten mit antisemitischer Vorgeschichte aus dem Kabinett zu entlassen. Angesichts dessen empfinden wir den von Ihnen gewählten Weg – sechs Monate nach dem 7. Oktober – als befremdlich, unangemessen und als Zeichen, dass Ihnen jegliche Empathie für ebenjene fehlt, die tagtäglich beim Betreten jüdischer Einrichtungen erst einmal Personenkontrollen über sich ergehen lassen müssen wie am Flughafen, für Eltern, die zunächst eine Einweisung in sicherheitsrelevante Verhaltensweisen bekommen müssen, bevor sie ihre Kinder aus dem Kindergarten abholen dürfen. Ihre Irrungen und Wirrungen, verehrte Vertreterinnen und Vertreter von CDU und CSU, zeigen sich auch daran, dass ausgerechnet einige Ihrer Mitglieder eine linke, antideutsche Band zum Kronzeugen machen und ein Lied der Antilopen Gang in den sozialen Netzwerken teilen. Allerdings machen die Zeilen des Liedes „Oktober in Europa“, das am letzten Wochenende veröffentlicht wurde, tatsächlich auf künstlerische Weise gut deutlich, wie sich Jüdinnen und Juden nach dem 7. Oktober 2023 in Deutschland fühlen. Es heißt darin – ich zitiere –: Die kontroversen Reaktionen auf den Song zeigen die Ambivalenz unserer deutschen Debatte: zum einen lautstarke Kritik von links, die eigentlich eben auch aus dem linken Lager stammenden Künstlern vorwirft, zur falschen Zeit die falschen Schwerpunkte zu setzen und so das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza zu relativieren, zum anderen Zustimmung von Menschen, die zumindest nicht linker Politik verdächtig sind. Irgendetwas scheint hier in Schieflage geraten zu sein. Liebe Union, das Gute und Wichtige jenseits angesprochener inhaltlicher Differenzen ist jedoch: Sie können direkt wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren. Wir haben einen geeinten Ampelantrag. Es stimmt also nicht, zu behaupten, wir hätten keinen. – Der liegt seit Montagabend vor. Ich habe mehrfach vorgeschlagen, Ihnen den zuzuschicken. Den wollten Sie bisher nicht. – Ja, das ist die Wahrheit. Ich habe ihn dabei. Sie können ihn direkt schriftlich haben. Ausgedruckt liegt er da vorne. Josef Schuster sagte diese Woche – ich zitiere, und ich komme zum Ende –: Wir bitten und hoffen, gemeinsam diesem Auftrag gerecht zu werden. Vielen Dank.