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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Warum werden ausgerechnet Juden so gehasst?“, fragt Markus Roth in seinem Buch über Antisemitismus und bezeichnet es als eine Kernfrage, die sich einer befriedigenden Beantwortung beharrlich zu entziehen scheint.
„Es ist unglaublich schwer, wenn nicht sogar unmöglich, etwas zu erklären, das in sich irrational, wahnhaft und absurd ist“, befindet die amerikanische Holocaustforscherin Deborah Lipstadt, die darin den Wesenskern aller Verschwörungsmythen und daher auch des Antisemitismus sieht. Das Irrationale, das Wahnhafte, das Absurde am allgegenwärtigen und jahrtausendealten Antisemitismus ist vielleicht auch einer der Gründe für die Hilflosigkeit im Umgang damit, die wir auch hier bei uns leider wieder feststellen. Und das erst recht dann, wenn er uns aus Milieus entgegenschlägt, die wir für zu klug, zu reflektiert, zu tolerant für derartige Ausfälle und Übergriffe gehalten haben: aus Kultur und Wissenschaft.
Angesichts des bestialischen Massakers der Hamas an unschuldigen jüdischen und nichtjüdischen Menschen in Israel am 7. Oktober zeigen sich leider auf der ganzen Welt – aber auch und besonders bitter: hier bei uns – die Fratze des Antisemitismus und eine gefährliche Israelfeindlichkeit. Das ist furchtbar und schlimm. Schlimm ist aber auch die Hilflosigkeit vieler Autoritäten, die Verantwortung tragen, dafür einen klaren Kompass für unser Gemeinwesen vorzuleben.
Beifall bei der CDU/CSU)
Wie nötig wir genau den haben, zeigen die abstoßenden Vorfälle von Listen mit den Namen jüdischer und israelfreundlicher Studierender und Lehrender in den Fluren der Unis und im Netz – das konnten wir in den Medien lesen –, ein Pranger, wie er schäbiger nicht sein könnte. Es gibt antisemitische Schmierereien wie durchgestrichene Davidsterne oder die grausamen Hamasparolen in den Hochschulgebäuden, Beschimpfungen und tätliche Übergriffe. Mir blutet das Herz, wenn ich von Musikstudenten aus Israel höre, die sich nicht mehr zu den Proben ihres eigenen Uni-Orchesters trauen.
Und dann verprügelt ein Student an der FU Berlin einen jüdischen Kommilitonen und kann nicht von der Uni geworfen werden, weil der frühere rot-rot-grüne Senat wenige Tage vor der Wahl 2021 das Hochschulgesetz geändert und solche Exmatrikulationen unmöglich gemacht hat.
Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Nicole Höchst [AfD])
Es ist schon bitter, wenn noch nach diesem schockierenden Vorfall hochrangige Politiker die Offenheit der Meinungen an der Uni gegen das Grundrecht auf Sicherheit der Studenten verteidigen und den Prügelvorfall, bei dem ein Jude nur deshalb angegriffen wurde, weil er Jude ist,
Wahnsinn!)
als Konflikt runterspielen, anstatt ihn als genau das zu benennen, was er war: hemmungsloser, hässlicher Antisemitismus.
Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Immerhin sind in der derzeitigen schwarz-roten Koalition Regelungen in Planung, die zukünftig sehr wohl wieder Exmatrikulationen in solchen Fällen vorsehen.
Dann gibt es die krassen Fälle aus der Kultur von der documenta bis zur Berlinale. Wie also mit der israelfeindlichen BDS-Kampagne umgehen, die im Hamasmassaker einen, wie sie selber sagt, schlagkräftigen bewaffneten Aufstand sieht?
Und wo sind die Grünen da? Wo sind da die Grünen?)
Es ist doch unerträglich, dass sogar in Deutschland israelische Künstler boykottiert werden. Und es geht auch nicht, dass Israel immer wieder zur Zielscheibe in fragwürdigen postkolonialen Diskursen wird. Dem müssen wir die wahre Geschichte Israels entgegenhalten, wenn sich falsche fatale Narrative festzusetzen drohen.
Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Nicole Höchst [AfD])
Ganz grundsätzlich: Bei allem Verständnis für Künstler, die in ihrer Leidenschaft auch öfter mal übers Ziel hinausschießen, wäre es ein eindrucksvolles Signal gewesen, wenn die weltöffentliche Plattform der Berlinale-Bühne für einen Friedensauftritt genutzt worden wäre. Versagt haben aber auch Kulturverantwortliche und das Publikum; denn es hätte ja Raum für Kritik gegeben: kein Applaus, Zwischenrufe, rausgehen. Es waren genügend Personen im Saal, die die Autorität dazu hatten.
Es ist so bitter, mitanzusehen, wie die Kultur in Deutschland als seriöser Ort des Dialogs ihren Ruf zu verspielen droht. Aber zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass viele Intellektuelle und Künstler selbst wahnsinnig unter den Entgleisungen in ihren Milieus leiden. Mit denen müssen wir reden; es gab den Versuch des Berliner Kultursenators.
Es muss wieder Vertrauen hergestellt werden zwischen dem fördernden Staat und den geförderten Kultureinrichtungen. Jetzt arbeiten Bund und Länder an einer gemeinsamen Haltung und an verbindlichen, justiziablen Vorgaben zum Umgang mit antisemitischen und rassistischen Einstellungen. Das ist gut so. Aber was fehlt, ist die ausdrückliche Mitarbeit vernünftiger Kultur- und Wissenschaftsvertreter bei diesem Versuch, Leitplanken für das gleichermaßen kritische wie integre Schaffen zu definieren.
Ich bin und bleibe der Überzeugung: Wir brauchen widerspenstige Künstler, damit unsere Demokratie wach bleibt.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Blinder Aktivismus schadet der Kunstszene. Für dieses Spannungsfeld und für die gesamtgesellschaftliche Balance zwischen Meinungsfreiheit, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit einerseits und der klaren Antwort auf Spaltung, Hass, Hetze, Rassismus und Antisemitismus andererseits sind die Kulturpolitik, aber auch wir alle hier verantwortlich.
Vielen Dank.
Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Helge Lindh [SPD])
Das Wort erhält Maja Wallstein für die SPD-Fraktion.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)