Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ätzender Antisemitismus in studentischen Chatgruppen, das Niederbrüllen oder Vertreiben von jüdischen oder israelischen Podiumsgästen, schauspielerische Performances, die Terror glorifizieren, rechtsextreme Flugblätter voller Vernichtungsfantasien – gerade noch schlau genug, das Wort „Juden“ nicht zu nennen –: alles nicht strafbar, aber für Betroffene von Antisemitismus macht es den Alltag zum Horror. Die RIAS-Auswertung zeigt: Antisemitische Vorfälle finden meistens unterhalb der Strafbarkeitsgrenze statt. Mit Law-and-Order-Politik kommen wir hier nicht weiter. Wir müssen das antisemitische Denken an der Wurzel packen! Wir müssen alle, die jetzt noch schweigen, für den Kampf gegen den Antisemitismus gewinnen! Es waren unser Wegsehen und die fehlenden Reaktionen in der Gesellschaft, die die Eskalation der letzten Wochen erst möglich gemacht haben. Die Sorge von Jüdinnen und Juden wurde heruntergespielt: Es seien Einzelfälle, Jugendsünden. Es sei alles nicht so gemeint. – Man spricht darüber, ob der Vorwurf nun gerechtfertigt war, anstatt über den Antisemitismus an sich. Das muss aufhören! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich danke Ihnen für die Möglichkeit, heute über Antisemitismus zu sprechen. Und auch wenn es heute glücklicherweise nicht im Vordergrund stand: Bitte hören Sie auf, den Kampf gegen Antisemitismus für Anti-Woke-Debatten oder für migrationsfeindliche Ziele zu missbrauchen. Bitte hören Sie auf, immer nur über den Antisemitismus der anderen zu sprechen. Unser Ziel muss doch sein, den Antisemitismus wirklich in den Köpfen der Menschen, in der ganzen Gesellschaft, zu bekämpfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das erreichen wir nur mit Bildung, mit Bildungsarbeit, die die Perspektiven von Menschen ernst nimmt und sie erreicht. Pädagoginnen und Pädagogen, die antisemitismus- und rassismuskritische Bildungsarbeit machen, berichten von einer massiven Verunsicherung bei jungen Menschen mit Migrationsgeschichte – mit und ohne deutschen Pass. Der Grund: Konservative und Rechte, die meinen, das deutsche Antisemitismusproblem, das wir seit Jahrhunderten haben, durch Abschiebungen lösen zu können. Bildungsarbeit leidet massiv, wenn sich junge Menschen nicht mehr trauen, ihre Gedanken oder Gefühle zur Situation in Israel oder in Gaza zu teilen, weil sie denken, dass man abgeschoben werden kann, wenn man die falschen Worte wählt. Aber im Austausch kann man lernen, wenn man offen reden kann. Instrumentalisierungsversuche bremsen den Kampf gegen den Antisemitismus. Das können wir uns nicht leisten. Packen Sie stattdessen zusammen mit uns an! Das heißt: Zusammen – gerne mal zuhören – mit den Ländern ran an die Lehrkräfteausbildung, an die Lehrpläne, an die Schulbücher. Der Bund ist vorangegangen. Trotz knapper Haushaltslage geht 2024 so viel Geld wie nie zuvor in die Bildungsarbeit gegen Antisemitismus. Das ist nur ein Anfang, aber ein Riesenschritt. Es muss weitergehen, unter anderem mit dem Demokratiefördergesetz. Der Zentralrat der Juden hat gestern klargestellt, dass jedes weitere Zögern zulasten der Betroffenen geht. Lassen Sie uns dieses Gesetz endlich beschließen und einen weiteren Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus leisten! Der Beschluss der Hochschulrektorenkonferenz, in dem die Arbeitsdefinition „Antisemitismus“ der IHRA angenommen wurde, sowie der durch die KMK verabschiedete Aktionsplan müssen umgesetzt werden. Studierende und Angestellte der Universitäten, die Antisemitismus befeuern, müssen mit klaren Konsequenzen rechnen. Antidiskriminierungsstellen der Universitäten müssen zu Antisemitismus geschult werden, um Jüdinnen und Juden unterstützen zu können. Inhalte zu Antisemitismus und jüdischem Leben müssen prüfungsrelevanter Teil akademischer Ausbildung sein; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wirksamer Kampf gegen Antisemitismus braucht Pädagoginnen und Pädagogen, Dozierende, Juristinnen und Juristen, Kuratorinnen und Kuratoren und Politiker/-innen, die begreifen, was Antisemitismus ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen klaren Willen, Bildung und Solidarität mit Jüdinnen und Juden. Wir brauchen keinen Aktionismus, sondern nachhaltige Lösungen im Kampf gegen den Antisemitismus. Vielen Dank.