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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Speiübel wird mir, wenn ich gerade Forderungen nach Amnestie und Freilassung von RAF-Tätern höre. Und mir wird noch mehr speiübel, wenn ich bedenke, wie diese in ihrem menschenverachtenden, selbstherrlichen Terrorismus voller Selbstgerechtigkeit zynisch über Menschenleben hinweggegangen sind und dabei – vergessen wir das nicht; das ist heute relevant – einen brachialen Antisemitismus gepflegt haben, aber großspurig behaupteten, sie seien die Einzigen, die aus dem Nationalsozialismus gelernt hätten.
Das nehme ich zum Anlass, auch auf mich selbst zu schauen. Und da muss ich feststellen, dass ich in den letzten 10, vielleicht 15 Jahren immer darauf geschaut habe, wo Antisemitismus von rechts stattgefunden hat. Aber ich habe nicht auf gleiche Weise hingeschaut, wie er in künstlerischen, auch in wissenschaftlichen Milieus stattgefunden hat. Ich habe, wenn ich ehrlich bin, auch bei Neuankommenden in Deutschland immer gerne darüber hinweggehört, wenn da antisemitische Töne waren.
Wäre ja auch sonst rassistisch!)
Und in diesem Punkt habe ich versagt.
Beifall bei Abgeordneten der AfD)
Gleichzeitig habe ich aber in den letzten Jahren und auch in den letzten Monaten dabei versagt, wenn nur aus kalkulierten Gründen von einem sogenannten „importierten Antisemitismus“ gesprochen wurde und wenn Antisemitismus rein pauschalisierend instrumentalisiert wurde, um Muslime unter Generalverdacht zu stellen:
Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Dass ich da nicht laut genug war, ist auch ein Versagen, über das ich reden will.
Was wir gerade erleben und in den letzten Jahren und Monaten erlebt haben, ist häufig dieses – Herr Jongen hat das mustergültig vorgeführt –: Antisemitismus, das sind die anderen, nur nicht wir selbst. – Das ist das geübte Spiel. Deshalb würdige ich es ausdrücklich, dass in der Beantragung dieser Aktuellen Stunde von der Union von einer Bekämpfung aller Erscheinungsformen von Antisemitismus gesprochen wird. Und das bedeutet dann, dass jeder vor seinem Laden kehrt, dass es wünschenswert wäre, dass diejenigen, die progressiv links sind, schauen: „Was ist denn bei uns los?“; dass die Konservativen schauen, was in ihren Reihen los ist; dass diejenigen, die künstlerische Bereiche im Blick haben, auf ihren Bereich schauen und nicht immer nur auf die jeweils anderen Bereiche. Das heißt dann eben, dass wir uns viel mehr noch als in der Vergangenheit nicht wegducken, wenn es um blanken Antisemitismus im Bereich von Kunst und Wissenschaft, an Universitäten und in Kunstinstitutionen geht.
Das bedeutet aber auch, zu reden und nicht zu schweigen zum Fall Aiwanger. Ich stelle mal die Frage, ob es politisch-medial genauso verlaufen wäre, wenn Aiwanger nicht „Aiwanger“ geheißen hätte, sondern „Yilmaz“. Ich glaube, nicht. Das Perfide an dem Fall Aiwanger ist, dass er noch im Amt ist – letztlich nur dadurch, dass es weniger Widerstand bedeutete und weniger Stimmen kostete, ihn im Amt zu belassen, als ihn zu entlassen.
Wenn wir sagen – und das kann ja ein Argument sein –, man wollte ihm nicht den Raum geben, sich als Märtyrer zu inszenieren, dann ist das perfide. Das ist seiner Person zuzuschreiben, wohlgemerkt, sich in eigener Täter-Opfer-Umkehr als Märtyrer und Opfer dargestellt zu haben, damit aber – mit dem schändlichen Flugblatt und mit seinem Agieren – Jüdinnen und Juden wieder und wieder zu Opfern gemacht zu haben, die es unerträglich finden, dass dieser Herr Aiwanger so agiert hat und agiert, wie er agiert.
Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Das bedeutet, alle Erscheinungsformen zu sehen.
Himmel! Herrgott!)
Wir diskutieren aber oft, allzu oft so, dass wir Jüdinnen und Juden – und sie empfinden das auch so – gebrauchen und benutzen zur Stärkung der eigenen These, als Leumundszeugen, dass wir selbst ja nicht die Antisemiten sind, sondern die anderen: die im anderen politischen Lager, die anderen Parteien, die anderen Fraktionen, das andere Milieu – nur nicht wir selbst. Oder wir nutzen sie als Leumundszeugen, um zu sagen: Guckt mal, viele Jüdinnen und Juden teilen meine Position; ich kann ja gar nicht antisemitisch sein. – Das ist eine Ausnutzung und ein Missbrauch von Jüdinnen und Juden, und das ist auch ziemlich erbärmlich, wenn ich das so sagen darf.
Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir stellen auch fest, dass dann oft über Definitionen von Antisemitismus gesprochen wird; aber es sprechen dann oft die miteinander, die nicht betroffen sind – die jüdischen Perspektiven und die jüdischen Stimmen in ihrer Vielfalt finden nicht statt. Es ist eben nicht die Ausnahme, sondern oft die Regel, dass nichtjüdische Deutsche Juden erklären, was Antisemitismus sei. Wir kennen es auch in anderen Zusammenhängen, dass Deutsche, die nicht von Rassismus betroffen sind, von Rassismus Betroffenen gerne erklären, was denn Rassismus sei.
Ich finde es nicht haltbar und tragbar, wenn wir so tun, als gäbe es diese Alternative: Team „Bekämpfung des Antisemitismus“ oder Team „Bekämpfung des Rassismus“. Das ist doch ein Irrsinn! Es kann auch nicht sein, dass wir sagen: Es gibt ein Team „Mitgefühl mit den Geiseln und den durch die Hamas Ermordeten“ und kompromisslose Bekämpfung von Antisemitismus –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– und ein anderes Team, das sich mit Mitleid aufgrund der Situation in Gaza befasst. Nein, es gibt nur ein Team „Mensch“! Das heißt, zu begreifen, dass Antisemitismus nicht ein Problem der anderen ist. Es waren nicht die anderen, es sind wir! Und wir selbst haben uns zuerst diese Frage zu stellen.
Vielen Dank.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Peter Heidt [FDP])
Als Nächstes erhält das Wort Marlene Schönberger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)