Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Am Sonntag, den 9. Juni 2024, findet in Deutschland die Europawahl statt. Und ich finde es einfach unsäglich, dass wir hier im Deutschen Bundestag, im bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich stärksten Mitgliedstaat der EU knapp drei Monate vor dieser wichtigen Wahl über einen Antrag der Unionsfraktion debattieren müssen, der den Eindruck vermittelt, die Europäische Union wäre ein Bürokratiemonster. Dieser Antrag der Unionsfraktion versucht immer wieder, das Bild einer übergriffigen EU zu zeichnen, die nur unnötige Bürokratie produziert und Menschen wie Unternehmen einfach gängeln möchte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen doch knapp drei Monate vor der Europawahl nicht ein solches Signal aus dem Deutschen Bundestag senden! Es gibt nicht „die EU“, die irgendwo weit weg unsinnige Vorschriften produziert. Das sind Vertreterinnen und Vertreter der 27 Mitgliedstaaten, die im EU-Parlament, in der Kommission, im Rat und in anderen Gremien bestimmen, was die EU regelt, wie sie es regelt oder es eben auch sein lässt. Bald wird das Europaparlament neu gewählt, und hierin liegt doch unsere Chance. Wir, die demokratischen Parteien, sollten unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger zur Wahl aufrufen und darauf aufmerksam machen, wie wichtig es ist, sich an der Wahl zu beteiligen, dass es am Ende entscheidend ist, wen wir für uns nach Europa senden. Wir dürfen doch nicht stattdessen den Menschen unser Europa mit falschen Eindrücken und Behauptungen madig machen. Davon stellt die Unionsfraktion in ihrem Antrag aber einige auf, etwa wenn es um die Frage geht, wie die Richtlinien der EU ins nationale deutsche Recht umgesetzt werden. Sie fordern ein klares Bekenntnis zur Eins-zu-eins-Umsetzung. Richtlinien der Europäischen Union sollten also prinzipiell immer und pauschal nur noch eins zu eins ins deutsche Recht umgesetzt werden, also übernommen werden. Diese Forderung ist bestenfalls unsinnig. Denn darüber, ob und welcher Spielraum den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien überhaupt überlassen wird, entscheidet der EU-Gesetzgeber, nicht der Deutsche Bundestag. Wenn die Länder einen Umsetzungsspielraum haben und selbst entscheiden, wie sie die europäischen Regelungen in ihren nationalen Gesetzen umsetzen und der deutsche Gesetzgeber – und das sind wir hier alle miteinander –, wenn wir also im Rahmen dieser Umsetzung höhere Standards setzen wollen, dann üben wir eben unser gutes Recht aus, und genau hierfür wurden wir gewählt. Gerade hier gibt es einen Widerspruch in der Argumentation der CDU/CSU. Die Konservativen halten immer die Souveränität der Mitgliedstaaten hoch, achten darauf, dass die EU nur dort etwas regeln darf, wo es nicht besser auf nationaler Ebene von den Mitgliedstaaten geregelt werden könnte. Im Unterausschuss Europarecht erlebe ich in nahezu jeder Sitzung kritische Nachfragen meines Unionskollegen Herrn Dr. Plum, ob die EU für dieses oder jenes Thema wirklich zuständig wäre, ob diese Ziele nicht von den Mitgliedstaaten selbst ausreichend verwirklicht werden können, ob die EU hier nicht ihre Befugnisse überschreitet. Berechtigte Fragen, in der Tat! Ich finde es gut, dass Sie da immer wieder nachhaken. Aber wozu dann dieser Antrag? Wozu denn das alles, wenn man gleichzeitig von den nationalen Spielräumen, die es gibt, aus Prinzip keinen Gebrauch machen möchte? Es ist gut und richtig, dass wir die nationalen Spielräume nutzen. Das ist doch keine Bürokratie. Das sind Rechte, die wir als Gesetzgeber haben und so nutzen sollten, dass sie den Menschen und Unternehmen zugutekommen. Es graut mir, ehrlich gesagt, ein wenig vor der kommenden Europawahl. Ich finde es deshalb so wichtig, dass man nicht nur allgemein blumig darüber fabuliert, wie wichtig die Europäische Union für uns alle ist, sondern dass man ihre Bedeutung und ihre Vorteile für uns alle wieder konkret erlebbar und anstrebenswert macht. Im Wahlkampf 2024 sollten wir deshalb eine Vision von einer Europäischen Union zeichnen, die von gemeinsamen Werten, Freiheiten und Demokratie geprägt ist, und nicht von Bürokratie. Vielen Dank.