Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am Ende des ersten Quartals 2024 dauert dieser russische Aggressionskrieg gegen die Ukraine nun zwei Jahre an, unvermindert. Es sterben Tausende Soldatinnen und Soldaten auf beiden Seiten, es werden Frauen vergewaltigt, es werden Kinder nach Russland entführt, Städte und Dörfer werden zerbombt. Die Front steht aus ukrainischer Sicht maximal. Es gibt mittlerweile russische Erfolge. Das Personal und die Munition auf ukrainischer Seite werden knapp und knapper. In den Vereinigten Staaten von Amerika, die für die Unterstützung der Ukraine entscheidend waren und sind, verhindert eine innenpolitische Blockade eine weitere Unterstützung. Deswegen sind wir jetzt in der Situation eines Abnutzungskrieges, von dem der österreichische Militärfachmann Gustav Gressel sagt: Es ist ein Abnutzungskrieg. Wenn er so weitergeht, verliert die Ukraine. Währenddessen hat Russland seine Wirtschaft auf Kriegswirtschaft umgestellt: Panzer rollen vom Fließband, im Schnitt werden in Russland pro Tag 1 000 Rekruten neu in den Dienst gestellt. Vor diesem düsteren Szenario debattieren wir in dieser Woche einen Antrag, Frau Kollegin, den wir schon im vergangenen November in den Deutschen Bundestag eingebracht hatten und der nun in dieser Woche nach langen Beratungen im Auswärtigen Ausschuss, wo Sie eine vorherige Aufsetzung verhindert hatten, diskutiert wird. Ich möchte dennoch die Gelegenheit nutzen, Frau Kollegin Brugger, Ihnen ausdrücklich für Ihre Rede zu danken und zu sagen, dass sie im Wesentlichen das ausdrückt, was die Fraktion von CDU und CSU zu den Fragen der Unterstützung der Ukraine denkt. Es ist gut, dass wir in diesem Punkt einig sind. Nach dem Kriegsbeginn haben wir alle hier – fast alle; wir jedenfalls mit Überzeugung – in einer Sitzung an einem Sonntag nach einer wegweisenden Rede des Bundeskanzlers stehend applaudiert und gesagt: Wir stehen hier jetzt in der demokratischen Mitte zusammen – mindestens, zuweilen auch darüber hinaus – für die Unterstützung der Ukraine. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir als CDU/CSU wollen diese Gemeinsamkeit weiter. Aber ich sage auch ganz offen: Mit einem Verhalten, wie es der Regierungschef hier gestern gezeigt hat, wird diese Gemeinsamkeit kaputtgemacht, wird sie zerstört. Das ist nicht nur nicht hilfreich, sondern – ich sage es ganz ausdrücklich – die Anwürfe in unsere Richtung, wenn wir Fragen stellen, das seien Halbwahrheiten oder es gebe sozusagen ein Sonderwissen einzelner Kolleginnen und Kollegen, sind völlig inakzeptabel für einen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in dieser historischen Situation. Ich will es ganz ausdrücklich sagen, weil wir hier als Abgeordnete sprechen: Herr Kollege Mützenich, Sie mögen Ihre eigene Art haben, Ihre Fraktion zu führen, und genießen dort ja auch eine große Anerkennung. Aber dass Sie hier auffordern, Kolleginnen und Kollegen in anderen Fraktionen wegen eines abweichenden Stimmverhaltens zu disziplinieren, ist kein guter Stil im deutschen Parlament und auch mit Artikel 38 des Grundgesetzes nicht vereinbar. Das sollten Sie sein lassen. Und ganz grundsätzlich: Wenn es ein Land im Westen gegeben hat, das immer wieder versucht hat, sich mit Russland zu arrangieren und nicht zu scharf zu reagieren – auch wir in gemeinsamer Verantwortung, Herr Kollege Mützenich –, dann ist es doch Deutschland gewesen. Nach der Annexion der Krim und dem hybriden Angriff auf die Ostukraine sind wir nicht nur im Gespräch geblieben. Bundeskanzlerin Merkel hat das Minsker Abkommen ausgehandelt. Wir haben den Betrieb von Nord Stream 1 fortgeführt, wir haben sogar mit Nord Stream 2 begonnen. Das kann man heute nur selbstkritisch betrachten. Der Bundeskanzler – das muss ich anerkennen – ist noch kurz vor Kriegsbeginn bei Putin gewesen und hat gesagt: Es gibt keinen Anlass, dass die Ukraine der NATO demnächst beitreten sollte. – Was war die Reaktion? Herr Putin hat diesen Krieg begonnen. Dann gab es die Zurückhaltung bei der berühmten Debatte über die Lieferung schwerer Waffen. Wie lange? Monate hat das gedauert. Das hat nur dazu geführt, dass die russische Armee sich weiter hat festigen können, Stellungen aufbauen können, die jetzt verteidigt werden und die es der Ukraine unmöglich machen, dort vorzudringen. Und jetzt erneut ein monatelanges Zögern und ein Nichterklären der Entscheidung, was den Taurus angeht! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn es ein Land gegeben hat, das sich wegen der Ukraine immer zurückgehalten hat, immer versucht hat, offen zu bleiben, war es Deutschland. Wir haben das in letzter Zeit sehr stark kritisiert. Aber Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass Herr Putin nicht ein einziges Mal darauf positiv reagiert hat. Er hat nicht ein einziges Mal gesagt: Oh ja, da ist ja Deutschland; Frau Merkel oder Herr Scholz, die sind offen, die versuchen, ein Weniger zu machen. Darauf reagiere ich positiv und nehme mich zurück. – Nein, Ihre vermeintliche Besonnenheit hat Herrn Putin in seiner Aggression gegen die Ukraine immer wieder nur befeuert. Das ist das Resultat. Deswegen bin ich in dieser Situation, auch wenn Geschichte sich nicht wiederholt, bei Daniel Cohn-Bendit, der sagt: Wenn wir irgendeine vergleichbare Situation haben, dann sind wir in einer ähnlichen Situation wie 1938. – Ruchlose Aggressoren brauchen keinen Anlass für einen Angriff; die machen es von sich aus selber. Und so gilt es auch für Herrn Putin. Deswegen ist das richtig, was Ralf Fücks gestern geschrieben hat, als das jüngste Interview von Herrn Putin kam: Es gibt keinen dritten Weg. Deswegen braucht es Entschlossenheit, und deswegen braucht es Klarheit bei der Unterstützung Deutschlands für die Ukraine. Dazu sind Sie alle miteinander gemeinsam aufgerufen. Wenn es heute in der Abstimmung nicht gelingt, dann sollten Sie danach darauf setzen, dass diese Bundesregierung die richtigen und die notwendigen Entscheidungen für die Seite der Ukraine trifft. Vielen Dank.