Ich wäre auch nervös, meine Damen und Herren, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute sage ich einmal ausnahmsweise Ihnen, liebe Bürgerinnen und Bürger auf den Tribünen und an den Bildschirmen, die unsere Debatte vielleicht verfolgen: Wenn es eines Beweises bedurft hätte, warum es höchste Zeit ist, dass in Nordhausen, Eckernförde, Altenburg, Frankfurt, Sonthofen, Zwickau, Hamburg, Bielefeld, Wernigerode, Halle, Brandenburg, Plauen, Gießen, München, Regensburg, Füssen, Worms, Boizenburg, Wismar oder Bautzen Menschen auf die Straße gehen und sagen: „Wir haben etwas zu verteidigen, nämlich nichts weniger als unsere Demokratie, unsere Freiheit und unseren Rechtsstaat“, dann ist es die Rede von Alice Weidel, meine Damen und Herren. Wie viel Verachtung, wie viel Menschenfeindlichkeit, wie viel Gefährlichkeit und wie viel Verächtlichmachung demokratischer Institutionen war hier gerade in zehn Minuten zu hören! Meine Damen und Herren, es ist unglaublich: Das ist eine Verunglimpfung der Opfer des SED-Regimes durch unsägliche Vergleiche. In einem freien Land hat eine freie Presse geklärt, wie tief die Verstrickungen von Rechtsextremismus, Identitärer Bewegung, AfD beim sogenannten Geheimtreffen in Potsdam waren. Der Fraktionsvorsitzenden steht heute wahrscheinlich das Wasser bis zum Hals, weil der zweite ihrer Mitarbeiter auch in Potsdam gewesen sein soll. wenn so etwas passieren würde. Beim Geheimtreffen war offenbar nicht nur ihr Roland Hartwig, sondern auch ein gewisser Mörig, der vom Bundesvorstand der AfD bezahlt wird. Meine Damen und Herren, es ist so: Diese AfD-Abgeordneten sind demokratisch gewählt, aber sie sind keine Demokraten. Und das erkennen immer mehr Menschen. Deshalb braucht es die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihnen. Sie führen dieses Land in ein Rückwärts, in ein „Nie wieder!“, was wir als Demokratinnen und Demokraten auf jeden Fall verhindern werden; denn das sind wir Menschen wie Eva Szepesi und Marcel Reifs Vater schuldig, sage ich stellvertretend. Nach einer so würdigen Gedenkstunde wie heute Morgen, in der Eva Szepesi uns alle und Sie alle aufgefordert hat, gemeinsam an ihrer Stelle zu sagen: „Nie wieder ist jetzt!“, und Marcel Reif gesagt hat: „Sei ein Mensch!“, wissen wir als Demokratinnen und Demokraten ganz genau, und zwar von CDU/CSU, FDP, Grünen und SPD, was unsere Arbeit ist, nämlich diese Demokratie zu verteidigen mit allem, was wir haben, meine Damen und Herren, gegen die Feinde der Demokratie. Ich weiß, dass Sie nervös sind. Ich weiß, dass Ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Drei Ihrer Landesverbände, in denen unter anderem bald Wahlen sind, sind als rechtsextrem, gesichert rechtsextrem eingestuft, meine Damen und Herren. Lassen Sie sich nicht erzählen, sie hätten Rezepte, Lösungen und Ideen für die Zukunft. Ein Ausstieg aus der Europäischen Union, ein Ausstieg aus dem Euro würde Verarmung und eine Deindustrialisierung in diesem Land bedeuten, meine Damen und Herren, und zwar für alle Bürgerinnen und Bürger. Das muss jede und jeder wissen, die oder der mit der AfD sympathisiert. Ich kenne den Bundespräsidenten. Ich schätze den Bundespräsidenten. Niemals hat er über die Wählerinnen und Wähler, auch nicht einer solchen Partei wie Ihrer, gesagt, es seien Ratten. Ich finde es ungeheuerlich, dass Sie einen solchen Vorwurf in diesem Haus erheben, meine Damen und Herren. Ich erwarte, dass Sie das zurücknehmen; denn Sie können es durch nichts belegen. Sie schaden damit dem Ansehen der demokratischen Institutionen, und das muss man in aller Klarheit zurückweisen, meine Damen und Herren. Weil die Lage aber so ist, wie sie ist, meine ganz große Bitte an Sie, Herr Merz: Sie haben vorhin gesagt: Sparen Sie sich Aufrufe zur Zusammenarbeit. – Nein, das werde weder ich tun, das werden weder Bündnis 90/Die Grünen noch die FDP noch die SPD tun; denn wir wissen, dass in diesen Stunden Demokratinnen und Demokraten aller demokratischen Parteien gefordert sind. Und ich möchte, dass Sie diese Haltung auch einnehmen; denn die Lage ist ernst in diesem Land. Wir sparen uns diese Aufrufe zur Zusammenarbeit nicht; denn sie sind notwendig. Und machen Sie sich doch nicht so klein. Wir haben doch in diesem Haus auch schon gezeigt, dass es geht. Um die Demokratie wehrhafter zu machen, haben wir gemeinsam die Parteienfinanzierung verändert. Unlautere Wahlwerbung, die ganzen Parteispendensümpfe sind so klarer darlegbar, meine Damen und Herren. Da haben wir einen Riegel vorgeschoben, gemeinsam mit Ihnen, Herr Merz. Wir haben gerade das Stiftungsgesetz geändert. Wir haben erst mal eines geschaffen, das einen klaren Rechtsrahmen dafür bietet, dass Stiftungen auf dem Grund und Boden dieser Verfassung stehen müssen. Das haben wir klar und deutlich geregelt in Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung, den sie tragenden Fraktionen und Ihnen. Wir haben das Disziplinarrecht geändert, damit rechtsextremen Umtrieben in Polizei und Bundeswehr Einhalt geboten wird. Also tun Sie nicht so, als würden wir hier nicht zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit ist notwendig, dringend notwendig in dieser Zeit. Und ich sage Ihnen: Aus vielen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern, ob bei der Kirche oder mit Ihren CDU-Kolleginnen und -Kollegen vor Ort, weiß ich ganz genau, dass sie sich wünschen, dass Demokratinnen und Demokraten jetzt zusammenstehen. Das tun sie nämlich auch vor Ort: in den Städten, in den Gemeinden. Wir arbeiten in sehr unterschiedlichen Konstellationen als demokratische Kräfte in den Ländern zusammen. Also treiben Sie hier keinen Spalt hinein, wo er nicht gebraucht wird bzw. gefährlich ist. Meine Damen und Herren, ich bedaure die Unsicherheit, die nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil entstanden ist, was den Haushalt angeht. Wir wissen sehr genau, dass wir lange gebraucht haben, um das Urteil auszuwerten und die notwendigen Schlüsse daraus zu ziehen. Wir wissen, dass das in Wirtschaft, Industrie, Handwerk und bei den Bürgerinnen und Bürgern für Verunsicherung gesorgt hat. Aber diese Woche entscheiden wir in der Sache über einen Haushalt. Wir haben das trotz unterschiedlicher Auffassungen, die es vielleicht bei FDP, Bündnis 90/Die Grünen und SPD und auch in der Bundesregierung gab, hingekriegt. Wir bringen diese Woche einen Haushalt auf den Weg, der für Klarheit sorgt und der einen Rahmen für die notwendigen Zukunftsinvestitionen gibt, für die soziale Gerechtigkeit und für die Demokratie, meine Damen und Herren. Das ist ein gutes Signal. Bei aller Unterschiedlichkeit verbindet uns drei nämlich die Überzeugung, dass wir, auch wenn es schwer war, zusammen agieren und hier gemeinsam für Bürgerinnen und Bürger, für die Industrie, für das Handwerk und vor allen Dingen in den zentralen Zukunftsfragen – die Bekämpfung der Klimakrise, die notwendige Transformation – etwas bewegen und bewirken wollen und müssen, das heißt für die soziale und ökologische Veränderung, die notwendig ist, weil wir uns nach 16 Jahren Stillstand so was nicht mehr leisten können, meine Damen und Herren. Es braucht Veränderung. Das ist mittlerweile bis tief in die großen Wirtschaftsunternehmen klar. Sie lechzen danach, dass wir die Rahmenbedingungen setzen. Ein einfaches Weiter-so wie in der Wirtschaftspolitik den 90er-Jahre, Herr Merz, führt dieses Land nicht die Zukunft. Es führt uns nach unten. Im Best Case bleibt sie stehen. Aber das können wir nicht gebrauchen. Wir haben viel zu viele Herausforderungen. Und tun Sie mir noch einen Gefallen: Sozialen Zusammenhalt, das soziale Miteinander und auch die Verantwortung dieses Parlamentes für die sozialen Fragen und die Sicherheit von Bürgerinnen und Bürgern befördert man nicht, indem man das Bürgergeld als subventionierte Arbeitslosigkeit bezeichnet. Wissen Sie eigentlich, was Sie Menschen gegenüber damit ausdrücken? Das ist ein Treten nach unten, eine Abwertung, und das spüren Menschen. Sie sollten das nicht tun; denn Sie haben gemeinsam mit uns im Bundestag und im Bundesrat, mit allen Ländern gemeinsam, das Bürgergeld auf den Weg gebracht. Und sich jetzt so billig aus der Verantwortung zu schleichen, das wird Ihnen in Ihrer Rolle auch gar nicht gerecht. Mein Gott! Meine Damen und Herren, Sie tragen wie wir Verantwortung für dieses Bürgergeld, für das Konzept; denn Sie haben in beiden Kammern, dem Bundesrat und dem Bundestag, zugestimmt. Ich rate einfach nur dazu: Tun Sie nicht das Gleiche, was andere versuchen: durch die Abwertung von Menschen andere in eine bessere Lage zu versetzen oder Leute gegeneinander auszuspielen. Olaf Scholz hat gerade in seiner Rede darauf hingewiesen: Wo waren Sie denn, als wir über den Mindestlohn gesprochen haben? Wo sind Sie, wenn es um Tariftreue geht? All das sind Absicherungsfragen, die auch für die Zukunft notwendig sind. Ich höre nichts von Ihnen. Oder ist jetzt Steffen Kampeter Ihr neues altes Sprachrohr, der zu allem nur Nein sagt, weil er in der Wirtschaftspolitik der 90er hängen geblieben ist? Gucken Sie sich den Aufruf der 50 Unternehmen an, die gerade sagen: Wir haben eine Herausforderung. Wir brauchen weder Stillstand noch ein Zurück. Es gibt nur ein nach vorne. Und wir brauchen die Unterstützung dieser Bundesregierung und dieses Parlamentes, um notwendige Investitionen stemmen und die Transformation anzuschieben zu können. Niemand in diesen Unternehmen redet davon, dass wir sie auf Dauer subventionieren sollen. Das ist doch völliger Quatsch. Sie brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, sie brauchen Anschübe für Zukunftsinvestitionen. Das ist es, was sie brauchen. – Jens Spahn, zu diesem billigen Zwischenruf sage ich: Gerne. Gucken Sie sich doch Thyssen in Essen an. Was ist denn mit dem grünen Stahl? Reden Sie doch mal mit den Leuten. Ich habe es gerade schon gesagt: Reden Sie nicht nur mit Kampeter, sondern gehen Sie in die Unternehmen und reden mit denen. Fragen Sie doch mal, wie die das sehen. Die schütteln mit dem Kopf, wenn die Ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen hören. Und tun Sie mir einen Gefallen: Reden Sie dieses wunderbare Land nicht so schlecht. Viele Bürgerinnen und Bürger, die ich gerade auf den Straßen erlebe, wollen in diesem Land leben, weil dieses Land für sie Freiheit bedeutet, weil sie hier aufgewachsen sind – entweder sind sie hier geboren oder hierhergekommen, weil sie hier eine Arbeit gefunden haben –, weil sie hier ihre Familie gegründet haben, weil ihre Kinder hier zur Schule gehen. Die lieben dieses Land. Im Einzelfall wird der eine oder die andere unter bestimmten Fragen leiden oder unzufrieden sein. Wir können vieles besser machen – davon bin ich überzeugt –, und wir müssen einiges besser machen. Aber in dieser Plattheit, so einfach und schlicht auf das, was die Menschen draußen in dieser Situation der Demokratie von uns erwarten, zu antworten, das wird auch ihnen nicht gerecht. Wir sind alle zusammen gefordert, wirklich gefordert, unser Land zukunftsfest zu machen, Sicherheit zu geben, damit diese notwendige Veränderung gestaltet werden kann, dass wir niemanden in dieser Situation zurücklassen. Wir sind gemeinsam verantwortlich, diese Demokratie und den Rahmen für sie fester und resilienter, unsere Demokratie wehrhafter zu machen. Daher fordere ich Sie auf, Herr Merz: Nehmen Sie Ihren Eingangspunkt nicht so ernst, dass Sie keine Zusammenarbeit wollen. Ich finde es wichtig, dass wir alle als demokratische Kräfte das Signal aussenden, dass wir wissen, was die Stunde geschlagen hat, dass wir als Demokratinnen und Demokraten nicht nur Rede und Gegenrede suchen, sondern auch den Konsens; denn der gehört zu einer Demokratie. Danke.