Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat uns im vergangenen Sommer wissen lassen, dass es sein Anspruch an Sie, seine Koalition, ist, dass jedes Gesetz, jede Reform nicht nur hier im Deutschen Bundestag eine formale parlamentarische Mehrheit findet, sondern dass jedes einzelne Gesetz auch in einer fiktiven Volksabstimmung, die wir in einer repräsentativen Demokratie nicht haben, eine eigene Mehrheit finden müsse. Nach dem, was wir in den letzten Wochen an Ignoranz, ja, an Kaltherzigkeit gegenüber den berechtigten Anliegen vieler Bürgerinnen und Bürger erlebt haben, muss man sich tatsächlich fragen, ob dieser Anspruch jemals ernst gemeint war. Aber eines ist auch klar: Wohl kein anderes Ihrer allesamt umstrittenen Vorhaben stößt auf so breite Ablehnung wie die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Über 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger lehnen dieses Vorhaben ab. Und wohl auch kein anderes Vorhaben, das Sie auf den Weg gebracht haben, hat so weitreichende Folgen. Sie entscheiden heute auch über die Zusammensetzung des Wahlvolkes der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt eine Besonderheit: Eine hier erfolgte Reform kann von keiner künftigen Mehrheit jemals wieder rückgängig gemacht haben. Als Opposition haben wir ja keinen Anspruch darauf, dass Sie unseren Argumenten folgen. Und auch die Öffentlichkeit hat keinen formalen Anspruch darauf, dass Sie die breite Ablehnung respektieren. Aber die Bürgerinnen und Bürger haben sehr wohl einen Anspruch darauf, dass so weitreichende Entscheidungen zumindest auf einer hinreichend gesicherten Faktengrundlage getroffen werden. Seit Wochen fragen wir Sie – zuletzt im Innenausschuss am vergangenen Mittwoch –, mit wie vielen Einbürgerungen nach der Reform denn nun zu rechnen sei. Sie hatten mehrmals die Gelegenheit, uns das zu erläutern. Wir haben leider wieder keine Antwort erhalten. Entweder wissen Sie es nicht, oder Sie wollen es bewusst nicht sagen. Ich frage Sie hier im Deutschen Bundestag: Was haben Sie eigentlich in Ihrem Entwurf zu verheimlichen? An einer etwas versteckten Stelle ist davon die Rede, dass allein die Zulassung des Doppelpasses zu 2,5 Millionen Einbürgerungen führen kann. Das ist schon eine beachtliche Zahl. Aber ich frage Sie: Ist das denn wirklich alles? Sagen Sie uns heute endlich die Wahrheit, mit wie vielen Einbürgerungen Sie rechnen. Sie treffen offenbar im völligen Blindflug weitreichende Entscheidungen. Das ist das Gegenteil von seriöser Politik, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das Gesetz, das wir heute beschließen werden, wird unser Land verändern. Wir hören immer wieder Vergleiche mit Kanada und mit anderen Einwanderungsländern. Die Wahrheit ist doch: Es gibt kein anderes Land auf dieser Welt, das auf jegliche selektive Steuerung von Migration verzichtet und gleichzeitig das Staatsbürgerschaftsrecht immer weiter öffnet. Das ist ein gefährlicher Irrweg, und wir lehnen dieses Gesetz heute ab. Herzlichen Dank.