oder ist das mittlerweile bei Ihnen schon eine Zumutung, wenn ich das hier sage? Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Aussprache über den Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung ist nicht allein eine Aussprache zur Agrarpolitik. Die Agrarpolitik steht spätestens seit den Demonstrationen in der letzten und in der vorletzten Woche im Kontext einer sehr viel größeren, gesellschaftspolitischen Diskussion in unserem Land, einer Diskussion, die weit über die Landwirtschaft hinausgeht. Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre es nicht schlecht, wenn heute Morgen an dieser Diskussion, an dieser Debatte auch der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland teilnehmen würde oder wenigstens anwesend wäre. Jetzt schauen Sie einmal auf diese Regierungsbank: Da sitzt, von dem zuständigen Ressortminister abgesehen, in der Kernzeit des Deutschen Bundestages in einer wichtigen Debatte zu einem gesellschaftspolitischen Thema, das die Menschen im ländlichen Raum und weit darüber hinaus umtreibt, kein einziger Bundesminister. Eine größere Missachtung und eine größere Respektlosigkeit kann man in einer solchen Diskussion hier im Deutschen Bundestag nicht zum Ausdruck bringen. Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft geht voller Zweifel und Unsicherheit in ein neues Jahr. Die Demonstrationen in dieser und in der letzten Woche waren nicht nur Demonstrationen der Landwirte. Vertreter des Transportgewerbes, des Mittelstands, viele Menschen haben sich dem angeschlossen. Es war eine Demonstration des gesamten ländlichen Raums der Bundesrepublik Deutschland. Diese Demonstrationen sind Ausdruck einer immer größer werdenden Unzufriedenheit und eines aufgestauten Frustes, der sich insbesondere gegen die Bundesregierung und gegen die sie tragenden Fraktionen und Parteien richtet. Meine Damen und Herren, diese Demonstrationen sind dankenswerterweise friedlich verlaufen. Die Vermutung, die Behauptung und die gar öffentlich vorgetragene Verdächtigung, dass diese Demonstrationen von rechtspopulistischen Kräften unterwandert und missbraucht werden, haben sich als haltlos erwiesen. Aber sie waren Teil Ihrer politischen Kampagne gegen die Landwirtschaft. Und es sind doch gerade diese Verdächtigungen, die ein zusätzliches Schlaglicht auf die politische Stimmung im Land werfen, wie wir sie hier zu Beginn des Jahres erleben. Sie in der Koalition setzen mit einer bisher in unserem Land nicht gekannten Rigorosität – um nicht zu sagen: Rücksichtslosigkeit – Ihre Politik durch, die den Protest der Betroffenen doch geradezu heraufbeschwört. Sie stellen abweichende Meinungen und vor allem so gut wie jeden Protest und fast jede Demonstration gegen die Politik Ihrer Regierung regelmäßig unter den Verdacht der Demokratiefeindlichkeit. Wenn es dann um Fragen der Einwanderung oder um andere gesellschaftspolitische Themen geht, dann werden die Einwände von Ihnen regelmäßig als „rechts“ und im Zweifel als „rassistisch“ abgekanzelt. So tragen Sie zu dieser Stimmung bei, die wir gegenwärtig in unserem Land haben. Offenbar bemerken Sie immer weniger, dass seit mehr als einem Jahr wesentliche Teile Ihrer Politik – und das gilt beileibe nicht nur für die Agrarpolitik, das gilt für die Wirtschafts- und Finanzpolitik, das gilt für die Energiepolitik, das gilt für die Einwanderungspolitik – strukturell in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland keine Mehrheit mehr haben. Meine Damen und Herren, ich habe mich zu Wort gemeldet, um Sie dringend und in der größten Besorgnis um die Zukunft unseres Landes zu bitten, nicht nur den Protest der Landwirte, sondern auch den Widerspruch eines großen Teiles unserer Bevölkerung nun endlich ernst zu nehmen und Politik nicht nach Klientel und Minderheiten zu machen, Sie regieren gegen die Mehrheit der Bevölkerung und der Wählerinnen und Wähler in Deutschland. Sie setzen Ihre Politik regelmäßig – so auch in dieser Woche – im Deutschen Bundestag mit Ihrer Mehrheit durch, obwohl diese Politik von einer klaren und eindeutigen Mehrheit der Bevölkerung rundheraus abgelehnt wird. Und so wie Sie das hier tun, meine Damen und Herren, gefährden Sie nicht nur die Mehrheitsfähigkeit Ihrer Koalition – darüber würde ich mich an dieser Stelle jetzt nicht beklagen –, sondern Sie gefährden auch immer weiter die Zustimmung der Bevölkerung zu den Institutionen unseres demokratischen Rechtsstaates. Um eine solche Gefährdung handelt es sich doch, wenn der Populismus von links und vor allem der unsere Demokratie massiv verachtende Populismus von rechts außen in Deutschland immer stärker wird. Und dass das eine ganz links mit dem anderen ganz rechts zu tun hat, das wissen wir doch nun spätestens seit gestern Abend, seitdem herausgekommen ist, wo die Gründerin einer neuen Partei sich in diesem Lande auch aufgehalten hat. Meine Damen und Herren, merken Sie nicht, was in diesem Lande zurzeit geschieht? Ich will es mit den Worten eines hoch angesehenen – und wenn ich es richtig weiß, ist er immer noch Mitglied Ihrer Partei – emeritierten Historikers von der Humboldt-Universität hier in Berlin sagen, mit den Worten von Heinrich August Winkler, der vor gut drei Jahren in einem Vortrag unter dem Titel „100 Jahre Weimarer Verfassung und die Zukunft der Demokratie“ – so hieß der Vortrag – es so ausgedrückt hat: – sagt er – Meine Damen und Herren von der Koalition: Ihre Politik in Deutschland ist nicht mehrheitsfest; Sie regieren gegen die Mehrheit in unserer Bevölkerung. Im Gegenteil: Sie bedienen Ihre Klientel, Sie überhöhen das Ganze mit einem moralischen Anspruch, und Sie bemerken offenbar überhaupt nicht, dass Sie mit genau dieser Politik – und die Agrarpolitik steht im Zentrum dieser Politik – immer mehr Wählerinnen und Wähler in die Arme der schrecklichen Vereinfacher von links und vor allem der von ganz rechts treiben, vor allem in die Arme der Rechtspopulisten. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, meine Damen und Herren. Vor diesem Hintergrund planen Sie nun allen Ernstes am heutigen Tag die Änderung des Staatsbürgerschaftsrechtes. Sie wollen eine beschleunigte Einwanderung von 2 Millionen Menschen erreichen, unter Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft für eine große Zahl von Menschen, die überwiegend aus der Türkei und aus dem arabischen Raum kommen. Sie machen doch genau so weiter, wie Sie es im letzten Jahr gemacht haben, und sehen nicht, was Sie mit Ihrer Politik erreichen. Ich frage Sie einmal ganz ernsthaft – da können Sie so viele Zwischenrufe machen, wie Sie wollen –: Gibt es in Ihren Reihen eigentlich noch irgendjemanden, der Sie einmal zum Innehalten bewegt und der Ihnen sagt, was Sie mit der Politik, die Sie in dieser Ampelregierung betreiben, in unserem Lande anrichten? Gibt es noch irgendjemanden, der Ihnen den Spiegel vorhält und Ihnen mal sagt, was in diesen Tagen, Wochen und Monaten passiert? Dann befeuern Sie jetzt noch die Diskussion über ein Parteiverbot. Meine Damen und Herren, die „F.A.Z“ hat es gestern ganz richtig auf den Punkt gebracht. Unter der Überschrift „Mit der Nazikeule in die Sackgasse“ schreibt Jasper von Altenbockum den ganz einfachen Satz: „Das Verbot ist das ... Mittel desjenigen, der sich nicht mehr zu helfen weiß.“ Genau so wird die Diskussion bei Ihnen geführt. – Ja, ich höre die Zwischenrufe, und ich sage Ihnen auch, warum ich mich in dieser Agrardebatte zu Wort gemeldet habe. – Sind Sie wenigstens noch bereit, das freie Wort im Deutschen Bundestag zu akzeptieren, sondern die Politik so zu machen, dass Sie wieder die große Mehrheit unserer Bevölkerung erreichen und auch deren Zustimmung finden, meine Damen und Herren. Wir beginnen dieses Jahr 2024 mit dem sehr sorgenvollen Blick auf Krisen und Kriege in der Welt, so zahlreich wie vermutlich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr. Auf diese Krisen und auf diese Kriege haben wir aus Deutschland heraus relativ wenig Einfluss. Aber die Menschen in unserem Land haben wenigstens eine Regierung verdient, die nicht zusätzlich und ohne Not einen innenpolitischen Konflikt nach dem anderen vom Zaun bricht und damit für zusätzliche und vor allem für vollkommen überflüssige Verunsicherung in der Bevölkerung sorgt. Diese Regierung haben wir verdient. Ich sage es Ihnen genau aus dieser Besorgnis heraus, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampelfraktionen: Kommen Sie mit Ihrer Politik zur Besinnung, bevor im Laufe dieses Jahres Teile unseres Landes unregierbar werden! Kommen Sie zur Besinnung mit dem, was Sie hier in diesem Jahr 2024 in Deutschland vorhaben!