Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte demokratische Abgeordnete! Die Europäische Union hat 2012 zu Recht den Friedensnobelpreis bekommen. Ob sie gerade einen zweiten bekommen würde? Ganz ehrlich: Das würde ich offen bezweifeln. Die Entrechtung von Geflüchteten an den Außengrenzen ist brutaler Alltag in dieser Europäischen Union. Pushbacks, Verantwortungslosigkeit der Mitgliedstaaten und eine EU-Kommission, die sich blind und taub stellt. Bei allen Schwierigkeiten, die das jetzige System der EU hat, bin ich überzeugt, dass mit dieser Reform alle Probleme der EU weiter ungelöst bleiben. Weitere Entrechtungen führen nicht zu weniger Geflüchteten, sondern nur zu mehr Leid. Aber mindestens so problematisch wie diese Reform ist die vergiftete Debatte über Flucht und Migration. Am Jahresende und als einer der letzten Redner im Bundestag in diesem Jahr, finde ich, muss man schon mal ein bisschen zurückschauen auf das, was in der Debatte eigentlich alles gesagt wurde, und darauf, wie manche dabei nach rechts abgerutscht sind. Da ätzt Friedrich Merz gegen ukrainische Geflüchtete, sie seien – ich zitiere –: „das schlechteste Beispiel, um von gelungener Integrationspolitik zu sprechen“. Über junge Menschen mit Migrationsgeschichte sagt der Parteivorsitzende einer christlichen Partei, das seien „kleine Paschas“. Thorsten Frei möchte gern das Asylrecht abschaffen; weil er nur noch Fachkräfte nach Deutschland lassen möchte. Jens Spahn geht da noch ein bisschen weiter und spricht davon, dass er auch gerne – Zitat –: „physische Gewalt“ anwenden möchte. Das ist etwas, was ich bis jetzt nur von den Antidemokraten am ganz rechten Rand in diesem Hause gehört habe. Mit Merz an der Spitze kommen die 90er-Jahre zurück und damit die Rhetorik von 1992 und die gefährliche Zuspitzung wie vor Rostock-Lichtenhagen. Mag sein, dass einige in der Union es nicht verkraften, gerade mal nicht zu regieren. Aber wer so redet, der wird diese perfide Logik, diese Entmenschlichung nur mit der AfD umsetzen können. Herrn Merz fliegt doch langsam, aber sicher der eigene Laden auseinander, weil es selbstverständlich reichlich gescheite Leute in der Union gibt, zum Beispiel diejenigen unter Ihnen, die das Chancen-Aufenthaltsrecht eigentlich ganz okay finden oder die sich für humanitäre Hilfe für Geflüchtete in Krisengebieten einsetzen. Ehrlich: Danke an diejenigen unter Ihnen, die dazu noch stehen. Aber Friedrich Merz hat sich als Kanzlerkandidat doch längst selbst ins Aus geschossen, spätestens seitdem er sich nicht als „Flugzwerg“ bezeichnen lassen will. Er wird mit seiner Kanzlerkandidatur bei Ihnen intern scheitern. Als Parteivorsitzender muss er aber wenigstens eine letzte Linie ziehen und halten, nämlich dass es niemals eine Zusammenarbeit zwischen der Union und der AfD geben darf. Das ist mein großer Wunsch für das nächste Jahr. Herzlichen Dank.