- Bundestagsanalysen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Rose! Meine sehr geehrten Gäste von den Selbstorganisationen! Das lautstarke Einstehen für Minderheitenschutz ist gerade in Zeiten, in denen Minderheitenrechte vielerorts eingeschränkt werden, besonders wichtig. Vielen Dank daher an alle Beteiligten, die diese gemeinsame, fraktionsübergreifende Entschließung auf den Weg gebracht haben und diese Debatte heute hier ermöglichen.
Der Schutz und die Rechte von Minderheiten sind zu Recht ein Wesenskern der liberalen Demokratie. Minderheitenpolitik bedeutet Handeln zum Wohle aller. Sie stärkt den inneren Zusammenhalt in unserer Gesellschaft – in Europa und darüber hinaus. Minderheitenpolitik ist im Kern Friedenspolitik. Gerade deshalb darf es uns nicht kaltlassen, wenn Sinti und Roma in Deutschland tagtäglich ausgegrenzt, diskriminiert oder gar angegriffen werden, wenn eine zwölfjährige Schülerin zunächst antiziganistisch beleidigt und anschließend an den Haaren über den Schulhof geschliffen wird, sodass ihre Hose zerreißt und ihre Knie bluten, während ihre Lehrerin wegschaut und anschließend meint, sie solle sich nicht so anstellen. Das darf uns nicht unberührt lassen.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist kein Einzelfall; solche Fälle sind bittere Realität in unserem Land. Es ist insbesondere der bundesweiten Melde- und Informationsstelle Antiziganismus zu verdanken, dass Vorfälle wie diese dokumentiert werden. Sie zeigen uns die strukturelle Verankerung von Antiziganismus in der Breite unserer Gesellschaft und die Dringlichkeit zum Handeln auf.
Die Bundesrepublik Deutschland trägt eine besondere historische Verantwortung für den Schutz von Sinti und Roma. Diskriminierung und antiziganistische Ressentiments haben in Deutschland eine jahrhundertelange Tradition. Sie fand ihren schrecklichen Höhepunkt im Völkermord an den Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg. Erst 1982, nach jahrzehntelangem, vehementem Kampf, angeführt von Romani Rose und dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, erkannte die Bundesrepublik den Völkermord als solchen an und ging damit die ersten Schritte zur Aufarbeitung.
Doch die Auswirkungen des Nationalsozialismus, die viel zu späte Anerkennung der rassistischen Verfolgung, die verweigerte Entschädigung durch den deutschen Staat sowie die anhaltende Diskriminierung haben tiefe Wunden bei den Betroffenen hinterlassen, die bis heute spürbar sind. Die Bedeutung des Berichts der Unabhängigen Kommission Antiziganismus kann deshalb nicht hoch genug geschätzt und oft genug betont werden.
Der Kommissionsbericht ist ein Meilenstein. Doch der Bericht allein setzt noch keine Veränderung in Gang. Um dem herrschenden Antiziganismus wirksam entgegenzutreten und einen gesellschaftlichen Wandel anzustoßen, braucht es die konsequente Umsetzung der Handlungsempfehlungen. Die heute zur Beschlussfassung vorliegende Entschließung setzt an diesen Empfehlungen an und konkretisiert die Umsetzungsmaßnahmen weiter. Wir alle gemeinsam erkennen das schlimme Unrecht, das Sinti und Roma in unserem Land erfahren haben und immer noch erfahren, an. Wir alle wollen gemeinsam Antiziganismus bekämpfen und das Leben der Sinti und Roma in Deutschland schützen.
Ich freue mich, dass wir in dieser Legislatur auch das Amt des Beauftragten gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma geschaffen haben. Lieber Mehmet Daimagüler, vielen Dank auch von meiner Seite für deinen Einsatz und die gute Zusammenarbeit.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei fraktionslosen Abgeordneten)
Die deutschen Sinti und Roma sind eine der vier anerkannten nationalen Minderheiten in unserem Land. Als Beauftragte für nationale Minderheiten und auch ganz persönlich werde ich mich weiterhin dafür einsetzen, dass ihnen die damit einhergehenden Rechte gewährleistet werden, und stets an ihrer Seite stehen.
Aber ich möchte auch den Blick darauf richten, welchen Beitrag Sinti und Roma für unser Zusammenleben geleistet haben und immer noch leisten. Sie gestalten und prägen unsere Gesellschaft seit Jahrhunderten mit. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat seit vielen Jahrzehnten mit seiner Bürgerrechtsarbeit aktiv zu unserer Demokratie beigetragen. Seine und auch die Arbeit der anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen aus den Communitys will ich an dieser Stelle ausdrücklich würdigen.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Nicht nur die facettenreiche Kultur, Kunst und Musik, sondern auch die übernommenen Erstberatungen von ukrainischen Geflüchteten durch Sinti-und-Roma-Organisationen oder die Kooperation mit Polizei und Sicherheitsbehörden bei der Durchführung von Schulungen zum Thema Antiziganismus stehen beispielhaft für ihren wichtigen Beitrag für das Miteinander in unserem Land.
Werte Kolleginnen und Kollegen, die Bekämpfung von Antiziganismus darf nicht nur punktuell erfolgen; sie muss fester und dauerhafter Bestandteil der gesellschaftlichen und politischen Agenda sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und für die gute Zusammenarbeit.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Frau Pawlik. – Nächster Redner ist der Kollege Michael Brand, CDU/CSU-Fraktion.
Beifall bei der CDU/CSU)