Seit Gründung der EU sollte Frieden in Europa durch den freien Austausch von Waren und Dienstleistungen gesichert werden. Über den Handel zu ausreichend Gemeinsamkeiten, der Binnenmarkt entstand. An europäische Vereine ohne Erwerbszweck, an ein intensives Zusammenwachsen über den Handel hinaus hat man da noch nicht gedacht. Mit diesem Widerstand sehen sich das Europaparlament und die EU-Kommission seit Jahrzehnten konfrontiert. Alle Initiativen, europäische Vereine zu ermöglichen, sind folglich gescheitert. Hinzu kommt eine gewisse Eifersucht der Mitgliedstaaten auf das, was sie als ihre ureigene Zuständigkeit verstehen. Sie wollen nicht, dass sich die EU mit einer europäischen Regelung einmischt. So gab es auch in Deutschland schon immer Widerstände gegen europäische Vereine, weil das deutsche Vereinsrecht doch so eine lange Tradition hat. Dabei hat man sogar die Tatsache ausgeblendet, dass die Einführung eines europäischen Vereins ein Zusatz und kein Ersatz für nationale Vereinsformen sein könnte. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Wir kennen europäische Aktiengesellschaften, Interessenverbände und Genossenschaften, also wirtschaftliche Akteure, aber keine europäischen Vereine. Seit der letzten Europawahl arbeitet das Europaparlament an einer neuen Initiative für ein europäisches Vereinsrecht. Es hat im Februar 2022 mit breiter fraktionsübergreifender Mehrheit anhand des entsprechenden Berichts ein „Statut für länderübergreifende Europäische Vereine und Organisationen ohne Erwerbszweck“ beschlossen und die EU-Kommission aufgefordert, ein Gesetz zu erarbeiten. Die Chancen für ein europäisches Vereinsrecht sind gestiegen. Ich bin mir sicher: Diesmal wird es gelingen. Was ist denn heute anders? Es ist uns in den letzten Jahren klar geworden, dass es bei Weitem nicht nur der Binnenmarkt ist, der uns in Europa zusammenhält, sondern auch unsere demokratischen Werte. Dass die leider keine Selbstverständlichkeit sind, sehen wir in der letzten Zeit ebenfalls sehr deutlich. Auch sehen wir heute, wo autokratische Regierungen auch in Europa drohen, dass wir für eine starke Demokratie nicht nur Gesetze und Institutionen brauchen, sondern vor allem eine freie, lebendige Zivilgesellschaft, die sich europäischen Werten verpflichtet sieht. Diese Einsicht ist zunehmend auch in Brüssel präsent. In den heutigen Zeiten reicht es eben nicht mehr aus, Regierungen, die europäische Werte missachten, vor Gerichte zu zerren und zu bestrafen oder bei Rechtsstaatsverletzungen gar wegzuschauen. Vielmehr gilt es, unsere Demokratie auch von unten zu gestalten. Vereine können da als wichtiger Teil der Zivilgesellschaft auch auf europäischer Ebene schützen, insbesondere in den Ländern, die kein so traditionsreiches Vereinsrecht kennen wie wir, in denen Vereine vielleicht überhaupt kaum noch freie demokratische Rechte haben. Gerade für sie ist ein europäisches Vereinsrecht mit unverrückbaren gemeinsamen Standards oftmals die einzige Möglichkeit, doch noch etwas von ihrer freien Zivilgesellschaft zu retten. Nun liegen uns der Vorschlag aus Brüssel für eine Richtlinie über europäische grenzübergreifende Vereine vor und ein Antrag der CDU/CSU, der die Kompetenz der EU beim Vereinsrecht anzweifelt und den vermeintlichen Eingriff in nationale Hoheitsrechte verhindern will. Es ist das alte Lied. Dabei waren die Konservativen im Europaparlament doch schon mal weiter. Die EVP hatte doch dem Initiativbericht des Parlaments 2022 zugestimmt und ihn 2019 sogar selbst beantragt. Vielleicht überdenken Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Ihre parteiinterne Kommunikation. Ein europäischer grenzübergreifender Verein zum Gedankenaustausch wäre vielleicht eine willkommene Möglichkeit. Helfen Sie, die Demokratie in Europa zu sichern! Stattdessen engt die Union das Ziel der EU – die Verwirklichung des Binnenmarktes und der Niederlassungsfreiheit – viel zu sehr ein und verkennt, dass auch Vereine ohne Erwerbszweck Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit genießen, dass sie wichtige Marktteilnehmer sind. In den EU-Mitgliedstaaten sind schätzungsweise 3,87 Millionen Vereine ohne Erwerbszweck tätig, die 2,9 Prozent des BIP der EU, das heißt 420 Milliarden Euro, in Bereichen wie Gesundheits-, Pflege- und soziale Dienste, Kultur, Sport und humanitäre Hilfe erwirtschaften. Selbstverständlich sind Vereine, auch wenn sie gemeinnützig sind, Teil des Marktes. Wirtschaftliche Ausrichtung ist nicht notwendig für wirtschaftliche Relevanz, die diese Vereine zweifelsohne haben. Sie sind Konsumenten und können auch wirtschaftlich tätig werden – gemeinnützige Vereine natürlich unter der Voraussetzung, dass sie Gewinne wieder in ihre Tätigkeit reinvestieren. Derzeit werden die Vereine in den Mitgliedstaaten durch nationale Gesetze geregelt. Diese enthalten in der Regel keine Vorschriften zu grenzübergreifenden Aspekten. Und wenn sie diese Aspekte regeln, dann unterschiedlich. Dadurch sind grenzübergreifend tätige Vereine im Binnenmarkt Unsicherheiten und zusätzlichem Verwaltungsaufwand und Mehrkosten ausgesetzt. Mit ihrem Vorschlag bietet die EU den Vereinen die Möglichkeit, ihr volles Potenzial auszuschöpfen und damit auch Wohlstand und Arbeitsplätze zu schaffen. Nun zu den juristischen Einwänden, die im Antrag der Union formuliert werden. Die Ziele dieser Richtlinie, nämlich die Gleichbehandlung von Vereinen im Binnenmarkt sicherzustellen und die regulatorischen Formalitäten von grenzübergreifenden Vereinen zu vereinfachen und zu vereinheitlichen, diese Ziele liegen sehr wohl in der Kompetenz der EU. Wir erreichen sie eben nicht mit nationalen Vorschriften in allen 27 Mitgliedstaaten. In ihrem Antrag versucht die Union – ich behaupte mal, wider besseres Wissen – stattdessen immer wieder, das Bild einer übergriffigen EU zu zeichnen, die sich in Sachen einmischt, wo sie nichts zu suchen hat. Ein solches Signal ein halbes Jahr vor der Europawahl? Die AfD, die ja nicht müde wird, gegen Europa zu arbeiten, hat Ihnen gestern Morgen im Rechtsausschuss bereits zu Ihrer Position gratuliert, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union. Wir aber werden aus dem Deutschen Bundestag heute Abend zum Glück ein anderes Signal nach Europa senden: Wir überwinden die engstirnige Sicht auf Europa als ein wirtschaftliches Binnenmarktprojekt, stärken das zivilgesellschaftliche Engagement und verteidigen damit die demokratischen Werte über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg. Vielleicht nehmen Sie sich bei Ihrer Abstimmung doch noch einmal Jacques Delors zu Herzen, der klar und eindeutig urteilte: „Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt.“ Vielen Dank.