Mir ist schon klar, worauf Sie hier heute mit Ihrem Gesetzentwurf abzielen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kolleginnen von der CDU/CSU, Sie fordern in Ihrem Gesetzentwurf eine Verdoppelung der Dauer des Grundleistungsbezugs nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von bisher 18 auf 36 Monate. In der Begründung schreiben Sie lapidar, die vorgesehenen Änderungen stünden „im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“. Ich finde, da machen Sie es sich doch ein bisschen leicht. Wenn wir uns das Urteil aus dem Jahr 2012 angucken, dann sehen wir, dass das Bundesverfassungsgericht sagt: Der Gesetzgeber muss erstens feststellen, dass es eine klar umgrenzte Gruppe gibt, die zweitens tatsächlich einen spezifischen Minderbedarf wegen eines, drittens, kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalts hat. – Nur dann sind geringere Leistungen gerechtfertigt. Migrationspolitische Erwägungen – auch der internationale Vergleich der Leistungshöhen – können das Absenken von Leistungen unter das Existenzminimum gerade nicht rechtfertigen. Wir haben einen Beschluss der Ministerpräsidentinnenkonferenz, und Sie meinen, dass Sie uns jetzt an dieser Stelle vorführen können. Allerdings entbindet uns als Parlament ein solcher Beschluss nicht von einer verfassungskonformen Gesetzgebung, und das sollten gerade Sie, die aktuell die Bedeutung von Bundesverfassungsgerichtsurteilen besonders hervorheben, sich vielleicht selber einmal zu Herzen nehmen. Es gibt aber tatsächlich noch etwas anderes, was ich nicht verstehe. Fragen Sie sich eigentlich bei all den Forderungen, die Sie tagtäglich in die Welt setzen, nicht, ob Sie den Menschen in diesem Land damit tatsächlich helfen? Ist Integration in Ihren Augen nicht die logische Konsequenz des Asylrechtes? Fakt eins ist doch: Es gibt keinerlei Studien, die belegen, dass es einzig und allein Pull-Faktoren wie Sozialleistungen sind, die Migrationsentscheidungen herbeiführen. Im Gegenteil: Menschen kommen vor allen Dingen wegen der Rechtssicherheit, der Aussicht auf rechtsstaatliche Verfahren und der Achtung der Menschenrechte zu uns ins Land, sagt zum Beispiel Herbert Brücker vom IAB. Demokratie ist der Pull-Faktor. Ich hoffe, wir sind uns einig: Die wollen wir deshalb nicht abschaffen. Ebenso ist unsere Wirtschaftsleistung ein Anreiz. Darüber hinaus spielen vor allen Dingen soziale Netzwerke, Familien und Bekannte die entscheidende Rolle bei der Frage, wohin Menschen ihre Flucht fortsetzen, in welches Land sie gehen wollen. – Wir können gerne Zwischengespräche führen, aber vielleicht darf ich meine Rede fortsetzen. Es gibt eine interessante Studie aus der Schweiz. In den Kantonen der Schweiz werden unterschiedlich hohe Sozialleistungen gezahlt, und es wurde einmal untersucht: Führt die Höhe der Sozialleistungen zu Wanderungsbewegungen zwischen den Kantonen? Überraschung: Es hat gar keinen Effekt. – Aber gut. Sie verweisen ja auch immer wieder auf Dänemark, weil Dänemark ja so erfolgreich ist. Dort sind die Sozialleistungen hart eingeschränkt worden. Wenn man sich die Konsequenzen anschaut: Zu dem Zeitpunkt, als die Sozialleistungen gekürzt worden sind, sind die Zuzugszahlen tatsächlich marginal gesunken. Aber einen Punkt ignorieren Sie an dieser Stelle ganz geflissentlich, nämlich Fakt zwei: die massiv negativen Folgen, die eine Kürzung der Sozialleistungen für die Integration hat. Auch hier gibt es eine spannende Studie, die sich auf diesen Zeitraum in Dänemark bezieht und die negative Effekte für Beschäftigung und Bildungschancen vor allen Dingen für die Geflüchteten, die bereits im Land sind, feststellt. Das führt zu mehr Armut, mehr Armutskriminalität, mehr Armutsprostitution. Wollen wir das? Wollen wir ernsthaft mehr Armut, verringerte Teilhabechancen und damit langfristig schlechtere Integrationschancen insbesondere für Kinder? 36 Monate sind drei Jahre, sind beispielsweise fast die gesamte Grundschulzeit eines Kindes. Oder ist das Motto „Erst die Menschen ausschließen, und sie später fragen, warum sie sich nicht besser integriert haben oder nicht erfolgreich in der Schule sind“? Es gibt noch einen weiteren Punkt: die eingeschränkte Gesundheitsversorgung, die nur bei akuten Schmerzen greift. Auch dazu gibt es Untersuchungen. Wissenschaftler aus Bielefeld haben festgestellt: Das wird am Ende gar nicht günstiger, sondern sogar viel teurer. Ich muss also feststellen, dass Sie sich weder mit den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der Ausweitung von Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes beschäftigt haben noch mit den Folgen für die Integration. Wir werden uns bei unserer Gesetzgebung mit all diesen Fragen beschäftigen. Deshalb werden wir Ihren Gesetzentwurf heute in die zuständigen Ausschüsse verweisen und nicht darüber abstimmen. Herzlichen Dank.