Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mal wieder hatte ich die Hoffnung, dass wir die Debatte zu Migration und Integration, zu Flucht und Asyl endlich sachlich und faktenbasiert führen, aber dazu scheinen Sie derzeit nicht in der Lage zu sein. Vielleicht wollen Sie diese Debatte ja auch einfach nicht sachlich führen. Die Stimmung weiter anzuheizen, ist ja auch viel einfacher, als die eigenen Vorurteile zu hinterfragen. Wir hören in letzter Zeit öfter von den sogenannten Pull-Faktoren, die Menschen nach Deutschland ziehen würden. Diese Theorie wird gerne mal rausgeholt, wenn die Zahlen Asylsuchender wieder steigen. Die Theorie der Pull- und Push-Faktoren geht zurück auf den US-amerikanischen Soziologen Everett Lee, der diese These in den 60er-Jahren aufstellte. In der modernen Migrationsforschung gilt diese Theorie jedoch bereits mehrfach als widerlegt. Es tut mir leid, liebe Union, aber hören Sie doch bitte endlich auf die Wissenschaft. Wenn alleine wirtschaftliche Faktoren für die Auswahl eines Ziellandes ausschlaggebend wären, dann wäre doch die ganze Welt auf den Beinen. Es ist viel komplexer, als Sie es sich eingestehen wollen. Sozial- und asylpolitische Detailregelungen spielen bei den Betroffenen oftmals gar keine Rolle. Es tut mir leid, hier wohl Ihr Weltbild zu zerstören, werte Union, aber diese Debatte wird eben gerade nicht gebannt auf den Fernsehbildschirmen dieser Welt verfolgt, sodass die durch Kriege und Katastrophen bedrohten Menschen es jetzt nicht davon abhängig machen, ob sie nach Deutschland kommen oder nicht. Es werden gerade auch keine Pro- und Kontra-Listen angefertigt, auf denen Menschen die Sozialleistungen der jeweiligen Länder aufführen, um sich dann auf den Weg nach Deutschland zu machen, auch wenn Sie sich das vielleicht so vorstellen mögen. Denn entscheidend für Migration ist vor allem der Aufenthaltsort von Freunden, Familie und der eigenen Community sowie die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und die Möglichkeit, in Frieden und Demokratie zu leben. Ja, bitte. Vielen Dank für Ihre Frage, Herr Kollege. – Vielleicht haben Sie meinen Redebeitrag aus der Aktuellen Stunde zu den MPK-Beschlüssen noch im Kopf. Dort habe ich gesagt, dass wir es natürlich anerkennen und akzeptieren, dass es eine Erweiterung von 18 auf 36 Monate gibt. – Wenn Sie mir schon eine Frage stellen, dann hören Sie auch zu, wenn ich antworte. Ich habe in dieser Aktuellen Stunde auch gesagt, dass ich mir mehr Vorschläge gewünscht hätte, wie wir Menschen schneller in sozialversicherungspflichtige Arbeit bekommen, als dass wir sie länger im Asylbewerberleistungsgesetz halten. – Damit ist diese Frage auch beantwortet. Wenn Sie schon so gerne über Pull-Faktoren sprechen, dann sprechen Sie bitte auch über Push-Faktoren. Es gibt nämlich Gründe, weshalb Menschen fliehen – und eine Flucht ist niemals freiwillig. Trotzdem hören wir von Ihnen nicht, dass Sie sich dafür einsetzen, dass diese Welt friedlicher wird, oder dass Sie sich dafür einsetzen, dass Menschen nicht gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen. Nein, stattdessen ergehen Sie sich in Debatten, die vor Gemeinheiten nur so strotzen, und leisten sich einen Überbietungswettbewerb der Boshaftigkeiten mit den Kollegen ganz rechts. Erst reden Sie von Sozialtourismus, dann plappern Sie den Quatsch nach, dass Geflüchtete angeblich beim Zahnarzt sitzen und sich die Zähne neu machen lassen. Dann wollen Sie Gelder für Asylsuchende kürzen. Und Herr Spahn, der sich über die gleiche Aussage der Kollegin von Storch vor einiger Zeit noch fürchterlich aufgeregt hat, will Geflüchtete jetzt auch an der Grenze – wenn nötig – mit physischer Gewalt aufhalten. Wenn Sie das als konstruktive Oppositionsarbeit bezeichnen, dann scheint es wirklich nicht besonders gut um die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu stehen. Gehen Sie doch noch einmal in sich und überlegen Sie ganz genau, wofür das C in Ihrem Parteinamen steht. Ich frage Sie, werte Kolleginnen und Kollegen: Gibt es eigentlich noch Menschen mit Wirtschaftskompetenz bei der Union? Haben Sie mal in Ihre Unternehmen hineingehört, wie schwer es für sie ist, Arbeitskräfte zu bekommen? Wie viele durch unsere ideologischen, bürokratischen und tatsächlichen Mauern abgeschreckt werden? Liebe Union, manchmal erinnern Sie mich ein wenig an die Nachtwache aus „Game of Thrones“: Seit Ewigkeiten harren Sie an der großen Mauer aus, bewachen stoisch die Grenze. Vermutlich sehen Sie sich selbst gerne als jene Wächter, die immer schon die alte Bundesrepublik vor allem Fremden „da draußen“ beschützt haben. Mit Blick auf den Kalender möchte man Ihnen zurufen: Ja, der Winter naht, aber, liebe Union, passen Sie auf, dass nicht auch Ihre Herzen zu Eis gefrieren. Ich könnte mich jetzt weiter mit Ihnen an populärer Fantasyliteratur abarbeiten, aber wir müssen im Hier und Jetzt die echten Probleme lösen. Leider ist Ihr hier eingebrachtes Wortmonster vom Asylbewerberleistungsweiterentwicklungsgesetz nicht mal ansatzweise dazu geeignet. Ihr Entwurf besteht aus nur einem einzigen Punkt, nämlich dem Eintritt der Analogleistungen nach 36 statt bislang 18 Monaten. Das war es; mehr steht da nicht drin. Und diesen einzigen Punkt schreiben Sie auch noch Wort für Wort vom MPK-Beschlusspapier ab. Wieder einmal haben Sie, werte Union, keine eigenen Ideen. Sie sind sich nicht mal zu schade, uns allen hier das Kopierte als eigene große Leistung zu verkaufen. Und dann fällt Ihnen als einzige Begründung wieder einmal nur die gefährliche Halbwahrheit von der Magnetwirkung deutscher Sozialleistungen ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, das Asylbewerberleistungsgesetz verdient eine echte Weiterentwicklung. Die Arbeitsverbote müssen fallen, und wir müssen Geflüchtete schneller in Arbeit und Teilhabe an der Gesellschaft bringen. Zynismus und Abschottung, begründet mit dem Wissensstand von vorgestern, sind keine Weiterentwicklung, nicht für das Asylbewerberleistungsgesetz und erst recht nicht für die Migrations- und Integrationspolitik unseres Landes. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Vielen Dank.