Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeit muss vor Armut schützen und für das Leben ausreichen. Das ist eine Grundüberzeugung der Sozialdemokratie, für die wir seit mehr als 160 Jahren einstehen. Aus dieser Grundüberzeugung heraus haben wir seinerzeit nach jahrelangen Kämpfen und gegen enormen Widerstand, vor allem auch seitens der Wirtschaft, die geschrien hat: „Davon wird unsere Gesellschaft kaputtgehen!“, den Mindestlohn eingeführt. Ich selbst habe das damals erlebt: Ich habe in der Gastronomie gearbeitet und erinnere mich noch sehr gut daran, wie mein Stundenlohn von damals knapp 6 Euro pro Stunde auf 8,50 Euro gestiegen ist. Für uns in der Gastronomie, aber auch für viele andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer war das ein riesiger Schritt und ein enormes Zeichen des Respekts, das längst überfällig war. Im vergangenen Jahr haben wir deshalb aus guten Gründen den Mindestlohn auf 12 Euro angehoben. Das haben wir nicht aus einem Selbstzweck heraus oder aus Spaß am Regulieren getan, sondern weil Deutschland trotz seiner wirtschaftlichen Stärke einen viel zu großen Niedriglohnsektor hat und viel zu viele Menschen in Erwerbsarmut leben. Das war und ist die bittere Realität von ganz vielen in unserem Land. Das wollen und dürfen wir nicht akzeptieren. Der 12-Euro-Mindestlohn war eine Lohnerhöhung für rund 6 Millionen Beschäftigte. Das ist ein großer Erfolg. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass der Mindestlohn in vielen Fällen, gerade in Städten wie München oder Frankfurt am Main oder in der Rhein-Main-Region, aus der ich komme, leider nicht ausreicht, um im Alltag über die Runden zu kommen. Im Juni 2023 war die Hälfte der Bürgergeldempfänger eben nicht arbeitslos. 80 000 Menschen arbeiten in unserem Land in Vollzeit und müssen ihren Lohn mit dem Bürgergeld aufstocken, um ihre Wohnungen bezahlen zu können oder am Ende des Monats den Kühlschrank füllen zu können. Das ist zutiefst ungerecht, und das dürfen wir nicht akzeptieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wer arbeitet, muss davon leben können; in Zeiten von Inflation und Preissteigerungen gilt das umso mehr. Diejenigen, die darunter besonders leiden – das wurde heute oftmals erwähnt –, sind Frauen, insbesondere alleinerziehende. In Deutschland ist es das größte Armutsrisiko, alleinerziehende Frau zu sein. Das gehört sich nicht; dagegen müssen wir etwas tun. Aus guten Gründen sieht das Mindestlohngesetz die Mindestlohnkommission vor, die paritätisch aus Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besetzt wurde, um einen gemeinsamen Vorschlag für die Mindestlohnerhöhung zu erarbeiten. Das ist ein gutes Instrument. Doch leider muss ich ebenfalls kritisieren und mit großem Bedauern feststellen, dass in diesem Jahr mit der guten Tradition des gemeinsamen Vorschlags gebrochen wurde; denn in der Mindestlohnkommission wurde mit den Stimmen der Arbeitgeber und der Stimme der Vorsitzenden die Arbeitnehmerseite überstimmt. Wir können sehr gerne über Reformvorschläge diskutieren, ohne die Mindestlohnkommission als Ganzes abzuschaffen; das begrüße ich sehr. Nichtsdestotrotz ist es auch wichtig, dass die Höhe des Mindestlohns nicht dauerhaft nur durch die Politik festgelegt wird, sondern darüber von den Tarifparteien gemeinsam entschieden wird. Zu guter Letzt: Der Mindestlohn allein ist nicht die Lösung für Erwerbsarmut. Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum. Wir brauchen den Ausbau der Ganztagsbetreuung, insbesondere an Grundschulen; denn Frauen brauchen eine gute Betreuung für ihre Kinder, damit sie während ihrer Erziehungsarbeit arbeiten gehen und mehr Stunden leisten können. Auch das alles hilft gegen Armut. Es gibt viele Instrumente. Das wichtigste ist natürlich eine stärkere Tarifbindung, für die wir uns einsetzen. Herzlichen Dank.