Frau Präsidentin! Abgeordnete! Im Juni hat die Mindestlohnkommission mit den Stimmen der Arbeitgebervertreter und der neuen Vorsitzenden den bisher verfolgten, auf Konsensfindung bedachten Weg verlassen und 6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Niedriglohnbereich für die nächsten zweieinhalb Jahre drastischen Reallohnverlust verordnet – Reallohnverlust und eine Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. Die Reaktionen darauf fielen deutlich aus. Ich zitiere: „Die Mindestlohnkommission ist doch eine Katastrophe.“ Die vergangene Erhöhung sei ein Witz. Nachdem die Gewerkschaften dort mithilfe der Vorsitzenden überstimmt worden seien, sei die Kommission ohnehin am Ende. Zitat: Das sagte der nordrhein-westfälische Sozial- und Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, CDU, und spricht sich für eine Lohnuntergrenze nicht unter 60 Prozent des Medianlohns und eine entsprechende Änderung des Mindestlohngesetzes aus. Genau das ist auch die Beschlusslage meiner Fraktion. Es ist in der Tat nicht hinzunehmen, dass der gesetzliche Mindestlohn Ende 2025 gemäß Mehrheitsbeschluss der Kommission auf Armutslohnniveau zurückfällt: auf 51,9 Prozent des Medians. Deswegen ist es notwendig, das Mindestlohngesetz, wie von der EU empfohlen, um eine Untergrenze für die Höhe des Mindestlohns zu ergänzen und festzulegen, dass bei der Entwicklung des Mindestlohns stets mindestens 60 Prozent des Medianlohns sichergestellt sein müssen. Damit können wir verhindern, dass der gesetzliche Mindestlohn in die Nähe der Armutsschwelle zurückfällt, aus der wir die Löhne ja gerade mit Einführung des Mindestlohns herausführen wollten. Das trägt dem Rechnung, was 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung in diesem Land für zutiefst richtig und moralisch geboten halten: dass Arbeit nicht arm machen und nicht entwürdigen darf. Ja, Arbeit darf nicht arm machen und nicht entwürdigen. Ein gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 60 Prozent des Medianlohns der Vollzeitbeschäftigten würde das Einkommen von über 6 Millionen Menschen verbessern. Derzeit entspräche das etwa 13,50 Euro und im Jahr 2024 14 Euro. Wie schon bei der Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro im Oktober 2022 werden davon Frauen und Arbeitnehmer in Ostdeutschland überproportional häufig profitieren. Der Mindestlohn würde sich dabei weiterhin nachlaufend an der Tariflohnentwicklung orientieren, und wie bisher würden darüber hinausgehende Erhöhungsschritte von der Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung erfolgen können. Dabei wollen wir die Konsensfindung der Sozialpartner fördern. Im Falle eines Patts könnte, wie bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst, eine Schlichtung mit zwei Vorsitzenden mit alternierender Stichstimme greifen oder ein Losverfahren, wie es im angelsächsischen Raum häufig verwendet wird, das den Einigungsdruck in den Verhandlungen erhöht, weil beide Seiten die Sorge haben, beim Losentscheid zu verlieren. Im Sommer wurde die Höhe des Mindestlohns für die kommenden zweieinhalb Jahre festgelegt – zweieinhalb Jahre! Ein so langer Zeitraum ist angesichts hoher Inflationsraten nicht zielführend. Die Mindestlohnkommission muss flexibler und schneller auf die Lohn-, Inflations- und Konjunkturentwicklung reagieren können. Daher soll im Mindestlohngesetz eine jährliche Anpassung festgelegt werden. Ich freue mich, dass es für eine solche Veränderung des Mindestlohngesetzes breite gesellschaftliche Unterstützung gibt: vom Arbeitnehmerflügel der Union über die Gewerkschaften und prominente Sozialdemokraten bis hin zur Linkspartei. Wir – damit komme ich zum Schluss – werden daran arbeiten, dafür auch in der Ampelkoalition einen Konsens zu erreichen.