Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Friedländer! Lieber Herr Prosor! Lieber Herr Schuster! Ich spreche hier heute ganz bewusst als jemand, der sich dem linken progressiven Milieu, wie auch immer, zugehörig fühlt. Am 9. November 1969 haben Linksradikale versucht, bei einer Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht das jüdische Gemeindehaus in Berlin in die Luft zu sprengen. Das war damals ein moralischer Bankrott linken Denkens. Und ein moralischer Offenbarungseid für die Gesellschaft in ihrer Mitte, aber auch für linke und progressive Milieus, denen ich mich zugehörig fühle, ist es heute, dass Millionen von Menschen in diesem Land – Millionen! – am 7. Oktober nicht einen automatischen Impuls, Reflex des Mitgefühls, des Sich-Auflehnens, der Empörung empfunden haben, wenn Türen von Menschen mit Davidstern markiert werden. Das muss uns zu denken geben. Auch zu denken geben muss uns, dass in – nicht in allen, aber in manchen, ja sogar in vielen – Kultureinrichtungen lärmendes Schweigen zu vernehmen ist, Indifferenz und auch relativierendes Gemurmel. Darüber können und dürfen wir nicht hinwegsehen. Wenn wir zu Recht die erbärmliche AfD-Rhetorik, die Geschichtsklitterung des „Schuldkultes“ attackieren, dann müssen wir aber in der gleichen Deutlichkeit auch die Erbärmlichkeit, die Unerträglichkeit des Slogans „Free Palestine from german guilt“ brandmarken, weil er die Leugnung des Holocaust und eine unerträgliche Täter-Opfer-Umkehr enthält. Wenn wir zu Recht uns verwehren gegen stigmatisierende und mit Generalverdacht arbeitende Islamkritik, dann müssen wir aber auch in der gleichen Deutlichkeit gegen die sogenannte verräterische Israelkritik vorgehen. Denn was soll das sein, Israelkritik, und was verbirgt sich dahinter? Haben wir eine Irankritik? Haben wir eine Syrienkritik? Haben wir eine Tschad-Kritik? Haben wir eine Sudan-Kritik? Nein, wir haben aber, wenn wir ehrlich sind – das betrifft nicht nur Menschen im rechten Spektrum, sondern die Mitte und eben auch den linken Bereich dieses Landes –, ein Problem mit einer manischen Fixiertheit auf Israel in solchen Fragen, und das können und dürfen wir nicht hinnehmen. Wenn wir nicht einfach die billige und günstige Gelegenheit nutzen wollen, wie das die AfD und andere machen, um abzuräumen, was auch an Sinnvollem im Kontext von Identitätspolitik existiert, dann nehmen wir doch die Identitätspolitik, die Wokeness und das Prinzip, dass der Betroffene recht hat, beim Wort. Dann frage ich aber diejenigen: Wo sind in den Diskursen die jüdischen Betroffenen? Wo sind die jüdischen Perspektiven? Wo ist die Wokeness und Wachheit für jüdische Blickwinkel? Und wo sind die geschützten Räume für Jüdinnen und Juden? Diese Antwort müssen wir geben. Wenn wir das nicht tun – es betrifft uns alle, nicht nur die Rechten, sondern die Mitte und die Linken –, – – dann hat leider Zvi Rix recht gehabt, als er sagte: „Auschwitz werden uns die Deutschen nie verzeihen.“