Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Friedländer! Sehr geehrter Herr Schuster, Herr Botschafter Prosor! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Gibt es für uns wirklich nur die Alternative zwischen übelwollenden Feinden und leutseligen Freunden? Gibt es für uns nirgendwo echte Verbündete …?“ Diese Worte klingen, als könnten sie aus diesen Tagen sein. Aufgeschrieben wurden sie von der deutschen Jüdin Hannah Arendt im Oktober 1941 im amerikanischen Exil. Die Anforderung an uns heute ist, echte Verbündete zu sein. Und echte Verbündete, die sagen Ja zum Selbstverteidigungsrecht Israels, sie sagen nicht: Aber bitte macht mal nicht Gebrauch davon. So läuft aber aktuell die Debatte, sehr geehrte Damen und Herren. Einen solchen Massenmord an einem Tag an Jüdinnen und Juden hat es seit der Shoah nicht mehr gegeben. Die Kälte mancher Reaktionen darauf lässt erschaudern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Pogrome sind die wohl perfideste Art der Gewalt gegen Juden. Die Jagd auf Juden dort, wo sie zu Hause sind, die brennt sich tief ein in das kollektive Bewusstsein, das Gedächtnis. Das Novemberpogrom von 1938, dessen 85. Jahrestag wir heute begehen und das den Weg in die Shoah wies, das befeuerte den Wunsch und auch die Notwendigkeit nach einem jüdischen Staat, der 1948 mit der Gründung Israels auf dem für Juden historischen Boden wahr wurde. Das ist der historische Kontext des 7. Oktober 2023. Dem blutigsten Tag für Jüdinnen und Juden seit der Shoah. Gewalt, Demütigungen, Entrechtungen, Markierungen: Das sind Erinnerungen, die da wachgerufen werden. Für uns heute ist das Anlass zu selbstkritischer Befragung: Haben wir in den vergangenen Jahren aufmerksam genug hingeschaut? Ist die Sichtbarkeit jüdischen Lebens ein so selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft, wie es wünschenswert wäre? Nein. Das ist ein bitterer, ein beschämender Befund in diesen Tagen. Dafür kann ich hier nur kurz stichwortartig einige Beispiele nennen: Wie konnte es kommen zur Documenta als Skandal mit Ansage und Wegbereitern? Woher kommt eigentlich diese Gleichgültigkeit gegenüber Boykott als Instrument politischer Meinungsäußerung? Und warum gilt es bei uns auch noch als normal, etwa im Bericht der Fachkommission für Integrationsfähigkeit der Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode, dass es als subjektive Wahrnehmung der Jüdinnen und Juden abgetan wird, die nicht durch die reichlich ungenaue Polizeiliche Kriminalstatistik gedeckt sei, dass sie einen zunehmenden muslimischen Antisemitismus wahrnehmen? Wie konnte es so weit kommen? Hier gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass das in vielerlei Hinsicht diffuse „Wir schaffen das“ faktisch wichtiger geworden ist in unseren Debatten als das normativ zwingende „Nie wieder!“. Weder Rassismus – das muss ganz klar sein – noch ein taktischer, leichtfertiger Einsatz des Rassismusvorwurfs sind angemessene Antworten auf ernste Probleme. Dass auch Migration ernste Konflikte und Probleme mit sich bringt, unabhängig davon, ob manche auch diskriminierende Einstellungen haben, das muss nüchtern und sachlich benannt werden, um dann auch zu verantwortungsvollen Konsequenzen zu kommen. Jeder Antisemitismus, egal aus welchem politischen Lager, egal mit welchem kulturellen Hintergrund, ist gleichermaßen inakzeptabel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen darauf gemeinsam und umfassend antworten – als Staat, als Gesellschaft, als Einzelne. Gleichzeitig ist dieser 7. Oktober Teil eines größeren Konflikts, einer größeren Auseinandersetzung. Innere und äußere Sicherheit, innerer und äußerer Frieden hingen nie so eng zusammen wie heute. Das wird jetzt für alle sichtbar. Wir müssen auch wehrhafter werden. Gehört es nicht zur Wahrheit, dass uns die Wahrnehmung des Selbstverteidigungsrechts Israels auch deshalb irritiert, – – weil wir selbst zu wenig selbstverständlich wehrhaft sind? Darüber müssen wir nachdenken. Wir selbst müssen unseren Beitrag leisten, – – damit wir die Hoffnungen von Jüdinnen und Juden, dass wir wirklich ihre echten Verbündeten sind, nicht erneut enttäuschen. Das ist unsere Verantwortung und schwerer, als es nur zu sagen. Vielen Dank.