Frau Präsidentin! Liebe Frau Friedländer! Exzellenzen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist der 9. November, und wir gedenken der Reichspogromnacht vor 85 Jahren. Wir als Deutscher Bundestag stellen uns als Vertreterinnen und Vertreter des Staates, der den Terror dieser Nacht und das sich anschließende singuläre Menschheitsverbrechen der Shoah zu verantworten hat, heute zuallererst unserer eigenen politischen Verantwortung, meine Damen und Herren. Wir tun dies heute im Lichte des 7. Oktobers, des Tages des größten Massakers an Jüdinnen und Juden seit der Shoah. Dieser Tag ist eine Zäsur, eine Zäsur für Israel, das alles Recht hat, sich gegen diesen von menschenfeindlichem Judenhass getriebenen und von der Hamas ausgeführten Massenmord zur Wehr zu setzen. Aber dieser Tag muss auch eine Zäsur für Deutschland sein. Der Konsens der demokratischen Parteien dieses Landes, nämlich dass die Sicherheit Israels und der Jüdinnen und Juden deutsche Staatsräson ist, muss endlich konsequent und schnell praktische Umsetzung erfahren. Es ist schlicht unerträglich, wenn Jüdinnen und Juden uns dieser Tage immer wieder schildern, dass sie sich in der für sie bedrohlichsten Lage seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland befinden. Niemand in diesem Haus, werte Kolleginnen und Kollegen, darf das akzeptieren. Wir haben als Ampel eine große Anzahl von relevanten Maßnahmen in unserem Antrag zusammengefasst: die Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben vollständig umzusetzen; in Abstimmung mit den Ländern den umfassenden Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen zu gewährleisten; eine konsequente Verfolgung des Antisemitismus, auch im Netz; das Demokratiefördergesetz als wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Extremismus und Antisemitismus; mehr Jugendaustausche; mehr jüdisches Leben im Sport bei Vereinen wie Makkabi Deutschland und vieles, vieles mehr, auch zur Verfolgung von antisemitischen Straftaten. Wenn zum Beispiel die Morde und Geiselnahmen der Hamas hier mitten in unserem Land offen bejubelt werden, ist das schlicht ekelhaft; es ist vollkommen inakzeptabel. Aber vor allen Dingen ist es meistens auch klar strafbar, und ich erwarte, dass eine solche Verherrlichung von barbarischen Massenmorden konsequent verfolgt und scharf geahndet wird, meine Damen und Herren. Aber dieses Thema, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, ist zu groß für politisches Klein-Klein. Ich bedauere es sehr, dass Sie hier entgegen der Praxis dieses Hauses in der Vergangenheit nicht den Weg eines gemeinsamen Antrages der Fraktionen gewählt haben. So profiliert man sich nicht, sondern so macht man sich selbst klein, schwächt das Gewicht der Gemeinsamkeit und das heute so wichtige Signal der Geschlossenheit der demokratischen Parteien dieses Hauses. Herr geschätzter Kollege Rachel, ich habe es vernommen; ich glaube, wir können diesen Weg gemeinsam gehen. Ich fordere Sie dazu auf, zu dem gemeinsamen Weg zurückzukehren. Und noch ein Wort in Richtung AfD. Ihre offenkundige Bigotterie in diesen Fragen, Frau von Storch, ist erbärmlich – erbärmlich! Dass Sie es wagen, während zwei Drittel Ihrer Fraktion hier durch Abwesenheit glänzen, eine solche Rede zu halten, ist unfassbar. Sie laufen bedenkenlos neben den Coronaleugnern, die ununterbrochen im Netz und auf der Straße eine vermeintliche jüdische Weltverschwörung propagieren. Herr Höcke spricht vom „Mahnmal der Schande“; für Herrn Gauland sind die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands ein „Vogelschiss“. Sie relativieren das Menschheitsverbrechen der Shoah; Sie bagatellisieren die deutsche Verantwortung, und Sie tun es ständig. Aber jetzt, wenn Sie meinen, diese Diskussion nutzen zu können, um Ihren antimuslimischen Rassismus zu verbreiten, halten Sie hier solche verlogenen Reden. Das ist unerträglich, meine Damen und Herren. Und ich verstehe gut, wenn Michel Friedman dieses Verhalten der AfD jüngst in einem Interview als „blanken Zynismus“, „Anmaßung“ und „schamlosen Opportunismus“ – Frau von Storch, schamlosen Opportunismus! – brandmarkt. Er sagt – Zitat –: „Mein Problem sind radikale, fanatische Islamisten und enthemmte Rassisten, auch die in der AfD.“ Ende des Zitats von Michel Friedman. Und recht hat der Mann, meine Damen und Herren. Zu guter Letzt, Herr Präsident: Hier an diesem Pult hat die Holocaustüberlebende Dr. Inge Auerbacher am 27. Januar 2022 – – den Antisemitismus als „Krankheit“ gebrandmarkt. Lassen Sie uns diese Krankheit bekämpfen: gegen den Antisemitismus und für das jüdische Leben. Ganz herzlichen Dank.