Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns einig, dass die Rede, die gerade gehalten worden ist, von Pauschalitäten durchsetzt ist, von Falschaussagen durchsetzt ist. Es ist auch unverschämt, zu sagen, dass Menschen hier aus Deutschland, unter anderem von Kirchen, die sich dafür einsetzen, dass Menschen im Mittelmeer gerettet werden, Schleuser sind. Das geht auf jeden Fall nicht. Es ist unverschämt, das hier so zu sagen. Ich weiß, dass wir die Debatte schon seit einigen Jahren führen. Wir können uns daran erinnern, dass eine Wochenzeitung die Überschrift brachte: „Seenotrettung – Oder soll man es lassen?“ Das war die Überschrift 2018. Die gängige Erzählung, die auch hier immer wieder vorgebracht wird, ist bis heute, die Seenotrettung sei ein Anreiz, sich auf die gefährliche Überfahrt zu begeben. Klar ist: Es ist wissenschaftlich längst erwiesen, dass es keinerlei Zusammenhang zwischen Rettung und Anzahl der Überfahrten gibt. In Jahren, in denen wenig gerettet wurde, kamen nicht weniger Menschen, sondern mehr Menschen sind gestorben. Ich sage: Das, was schon immer gegolten hat, gilt auch heute: Menschen, die ertrinken, retten wir. Punkt! Vor zwei Wochen war ich in einem dokumentarischen Theater „Mittelmeer-Monologe“; einige kennen es. Der Autor hat im Vorfeld stundenlang mit Überlebenden Interviews geführt, die über das Mittelmeer nach Europa gekommen sind, mit Menschen, die auf dem Mittelmeer waren, die Todesangst hatten, die Angst hatten, zu ertrinken, oder Angst, nach Libyen zurückzumüssen, wo Geflüchtete gefoltert und versklavt werden, mit Menschen, die andere Menschen im Meer verloren haben. Es wurde auch geschildert, dass die meisten so viele Kilometer hinter sich gelassen haben, dass ihr Entschluss, das Meer zu überqueren, schon längst gefallen war. Am Strand eines fremden Landes kehrt am Ende kaum jemand noch um. Warum kommen diese Menschen zu uns? Darüber gibt es ja auch eine Debatte. Wegen Krieg, Gewalt, absoluter Perspektivlosigkeit, weil sie für sich und ihre Familien ein besseres Leben wollen. Sie werden – anders, als behauptet wird – nicht „gepullt“, sie werden „gepusht“, aus ihren Ländern, aus ihren Häusern und aus ihren Leben. Dieser Weg bleibt gefährlich. Allein dieses Jahr sind schon 2 440 Menschen gestorben, weil sie nicht gerettet werden konnten; darunter über hundert Kinder. Die anderen kommen teilweise traumatisiert nach Europa. Wir alle können uns noch an die Bilder erinnern. 2015 ging ein Bild um die Welt von einem dreijährigen Jungen in blauer Hose und rotem T-Shirt am Strand von Bodrum. Der Tod von Aylan Kurdi hat uns damals alle schockiert. Was ist seitdem passiert? Warum wird die Pflicht zur Rettung von Menschen in Seenot heute noch infrage gestellt? Es steht fest: Wir müssen Menschen retten. Wir brauchen dafür in erster Linie immer noch eine EU-Seenotrettungsmission. Wir in Europa hatten mal so etwas. Wir hatten die Mission Sophia, die vor der Küste Libyens Menschen gerettet hat, seit 2015 etwa 50 000 Schutzsuchende. Die Deutsche Marine hat etwa 22 500 Menschen dort gerettet. Ich kann mir vorstellen, dass die Soldatinnen und Soldaten, die das gemacht haben, stolz auf sich sind. Wir können auch stolz auf sie sein. Eine derartige Mission gibt es nicht mehr. Deshalb ist die zivile Seenotrettung stärker gefragt. Die Helfer sind vor Ort, obwohl ihnen von allen Seiten Steine in den Weg gelegt werden. Sie retten Leben: Studentinnen und Studenten, Köchinnen und Köche, Ärztinnen und Ärzte. Sie machen das, was richtig ist. Jeden Tag erleben wir, dass diese Arbeit nötig ist. Und noch ein wichtiger Gedanke: Sie machen ihre Arbeit mit Unterstützung aus breiten Teilen der Gesellschaft, von lokalen Initiativen, Stiftungen, Kirchen, NGOs. All diese Akteure aus all unseren Wahlkreisen tragen primär die Arbeit der Organisation. Die öffentliche Finanzierung ist nur ein ergänzender Beitrag zur Rettung auf hoher See; ein Beitrag, auf den wir hier im Deutschen Bundestag stolz sein können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte am Anfang zitiert: „Seenotrettung – Oder soll man es lassen?“ Ich glaube, jeder Euro, der dafür verwendet wird, dass ein Mensch gerettet wird, ist es wert. Ich sage heute auch ganz klar: Seenotrettung ist unabhängig von der GEAS-Reform zu sehen, unabhängig von der Bleibeperspektive. Sie ist auch unabhängig davon, ob Menschen wieder zurückgeführt werden können. Das entscheidet sich nicht auf hoher See, nicht in akuter Gefahr. Es ist unsere menschliche Pflicht, zu retten. Wir sollten uns hier im Hohen Haus nicht dafür verstecken, dass wir zu unseren Werten stehen. Wir sollten stolz darauf sein, dass wir hier im Hohen Haus die zivile Seenotrettung mit 8 Millionen Euro fördern. Es ist unsere Entscheidung, und es ist richtig. Danke schön.